Green History

Die Bundestagswahl-Sensation 1983: Der Freiburger Joachim Dörfel hat die meisten grünen Erststimmen

Auf der Mitgliederversammlung im November 2021 bin ich auch Joachim Dörfel (geb. 1944) begegnet. Der seltene Gast in Freiburg lebt seit vielen Jahren in Graz. In den 1980er Jahren war er aktiv im KV Freiburg gewesen. Eine spannende Zeit der Gründung und des Aufbruchs. Ich war damals Mitglied des Freiburger Kreisvorstandes gewesen. Wir kamen ins Plaudern. Und danach begann ich, in die Geschichte der Freiburger Grünen und der Kandidaturen aus den Anfangstagen einzutauchen. Lang ist es her …

1980 war die erste Bundestagswahl, an der die Grünen teilnahmen. Für den Freiburger Wahlkreis 185 erhielt der Malermeister Peter Wedel aus der March 3,3 % der Erststimmen. Die Grünen in und um Freiburg kamen mit den Zweitstimmen sogar auf satte 4,4%. Ein guter Start für Freiburg, das damit schon mal sein Label als grüne Hochburg zu etablieren begann. Bundesweit erhielten die Grünen grade mal 1,5%. Die Legislatur hielt allerdings nur drei Jahre. 1983 kam es zu Neuwahlen, weil die FDP bei einem konstruktiven Misstrauensantrag die Seiten gewechselt hatte. Sie löste sich von der SPD (Helmut Schmidt) und „genscherte“ zur CDU und Helmut Kohl. Und jetzt beginnt die Geschichte von Joachim Dörfel.

Engagiert in der Anti-AKW-Bewegung Wyhl

Für die Bundestagswahl 1983 wurde Joachim, Biologe und Forstwissenschaftler, mit 2/3 Mehrheit als Direktkandidat des Freiburger Wahlkreises nominiert. Er war aktiver Kämpfer gegen Atomkraftwerke und AKW-NEIN Kämpfer in Wyhl sowie solidarisch mit der damaligen Hausbesetzer*innen-Szene. Die Älteren von uns erinnern sich noch lebhaft an die Besetzung des Schwarzwaldhofes an der Schwarzwaldstraße. Dort tauchte Joachim als Gast und Unterstützer gerne auf. Er war für die Grünen in Freiburg also ein „kampferprobter“ Kandidat.

Die Landesliste, Realos und Fundis und warum ein Freiburger Kandidat keine Chance hatte

Doch mit der Direktkandidatur kam man damals nicht weit. Wichtig war die Platzierung auf der Landesliste, um über ein gutes Zweitstimmenergebnis in den Bundestag zu kommen. Zur Landesdelegiertenkonferenz (LDK) in Stuttgart bewarb sich Joachim auf vorderen und damit als sicher geltenden Plätzen. So weit so gut. Aber zu jener Zeit waren die internen grünen Flügelkämpfe zwischen Fundis und Realos sehr ausgeprägt. Freiburg hatte den Ruf zu den Fundis zu gehören. Stuttgart und Württemberg galten als Realo-Flügel.

Auf der LDK wurde sogleich die Freiburger Nominierung von Joachim angefochten. Die Begründung: Ein Nichtmitglied hatte sich offenbar an der Freiburger Kandidatenwahl beteiligt. Klarer Formfehler, aber  bei einem 2/3 Zuspruch eigentlich nicht wahlrelevant.

Die starken Realo-Mannschaften in Stuttgart und Württemberg konstruierten und beschworen nun die Gefahr einer Nichtzulassung der gesamten Kandidatenliste des grünen Landesverbandes Baden-Württemberg. Man könnte auch sagen: Sie malten den Teufel an die Wand, um den Freiburger Kandidaten zu verhindern. Es kam zu einem Kompromissvorschlag: Die Freiburger Delegierten sollten bei der Listenaufstellung kein Stimmrecht erhalten. Sie konnten also ihren eigenen Kandidaten Joachim nicht wählen. Das hatte zur Folge, dass Joachim die entscheidenden Stimmen der Freiburger Delegierten für einen sicheren vorderen Platz auf der Landesliste fehlten.

Die Sensation: 12,4 Prozent Erststimmen für Joachim sind weit über dem Bundesdurchschnitt

Joachim gelang es zwar, Petra Kelly und Rolf Bahro für Wahlkampfauftritte zu gewinnen. Bei einer Podiumsdiskussion in der vollbesetzten Stadthalle am alten Messplatz vertrat Joachim wacker und zuversichtlich DIE GRÜNEN neben wahlkampferfahrenen Rednern wie Rolf Böhme und Conrad Schröder. Doch all das Engagement reichte natürlich nicht für den Einzug in den Bundestag. Dennoch war Joachims Ergebnis grandios: Denn er erzielte als Direktkandidat bei den Erststimmen bundesweit das beste Ergebnis! Er erhielt 12,4 Prozent mit insgesamt 20.765 abgegebenen Stimmen! Die grüne Hochburg Freiburg war geboren.

Auch bei den Zweitstimmen lagen DIE GRÜNEN in Freiburg 1983 über dem Bundesdurchschnitt: Sie erhielten 6,7%. Bundesweit lagen die GRÜNEN bei 5,6% und zogen erstmals in den Bundestag.

Die wesentlich schwächer gewählten Kandidaten der Landesliste aus Württemberg waren nun im Parlament. Für die Freiburger GRÜNEN und Joachim war das natürlich bitter, trotz aller Freude über das erfolgreiche Wahlergebnis. Übrigens: Bis heute sind unsere Kandidat*innen aus Baden auf der wie ich finde unausgewogenen Landesliste schwach vertreten. Südbaden ging im Vergleich zum Raum Stuttgart jüngst wieder baden. Gerhard Zickenheiner verlor leider wegen seines schlechten Listenplatzes sein Mandat.       

Autor: Berth Noeske

1943 in Eberswalde geboren und mit der Familie 1955 nach West-Berlin geflohen, kam 1969 nach Freiburg, um Sozialarbeiter in einem Kinderheim zu werden. 1980 trat er den Grünen bei und war 1984 bis 1989 Stadtrat.

Ab 1990 engagierte er sich für rund zehn Jahre beim VCD-Freiburg als Kreisvorsitzender bis zur Eröffnung der Fahrradstation. Danach wurde der Volksentscheid gegen Stuttgart 21 ein langjähriger Schwerpunkt.

Seit vielen Jahren unterstützt Berth die grünen Wahlkämpfe mit ausgefuchsten mobilen Infoständen. Er ist zudem qualifizierter Hausmann, da seine Frau eine Rehaeinrichtung leitete.

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