Im Herbst 2015 kam Suleymann in Deutschland an. Er lebte zunächst in einem Heidenheimer Asylbewerberheim, dann begann er 2019 eine Ausbildung als Altenpfleger in Freiburg. Die Hürden bis zu diesem Schritt waren unvorstellbar groß. Dann kam Corona… Hier ist die Geschichte eines geflüchteten Menschen, der sich in und für unsere Gesellschaft engagiert.
Sulayman, kannst du uns deine Geschichte kurz schildern?
Geboren bin ich in Zentral-Gambia. Nach einerAusbildung in Agrarwissenschaft, Umwelt- und Sozialwissenschaften arbeitete ich sieben Jahre als Mittelschullehrer, bevor ich nach Israel ging, um weiter zu studieren. Im Rahmen einer Import-Export-Tätigkeit für eine dortige Firma zog ich nach Guinea-Bissau, doch ein Machtwechsel beendete das Geschäft nach zwei Jahren. Da ich Gambia aus politischen Gründen verlassen hatte, konnte ich dorthin nicht zurück. Ein Job-Angebot aus Israel lehnte ich aufgrund der dort erfahrenen unerträglichen Diskriminierung ab.So kam ich über Senegal nach Deutschland, wo ich auf die Fortsetzung meines Studiums hoffte.
Wie hast du die Situation zuerst in Heidenheim und dann in Freiburg erlebt?
Als Asylbewerber hatte ich kein Recht, über meinen Wohnort zu entscheiden. Alles hängt vom jeweiligen Ausländeramt ab. Ein Deutschkurs wurde mir nicht genehmigt. Die Bundesgesetze bieten Flüchtlingen aus Gambia weniger Integrationshilfen als Menschen aus anderen Ländern, so dass ich keinen kostenlosen Deutschkurs machen durfte. Doch beim Arbeitsamt erkannte mein Berater meinen Lernwillen und half mir mit Deutsch-Grundkursen, Berufstrainings und Praktika. Aber niemand stellte mich ein: mein befristeter und zudem vom Asylverfahren abhängiger Aufenthaltsstatus war zu unsicher. Über eine Zeitarbeitsfirma fand ich schließlich eine Stelle als Fachlagerist ─ mit vier Stunden Fahrt hin und zurück. Ich konnte meinen Lebensunterhalt ohne finanzielle Hilfe vom Staat bestreiten, hatte aber keine Zeit für einen Sprachkurs (in Selbstbezahlung). Dann, dank eines Freundes, machte ich ein Praktikum in einem Altenheim. Mein Chef war mit meiner Arbeit so zufrieden, dass ich einen Vertrag bekam. Zudem erhielt er vom Arbeitsamt eine Anschubfinanzierung für meine Einstellung. Als ich ihm meine Lust auf eine Ausbildung zum Altenpfleger mitteilte, um eine qualifizierte Fachkraft zu werden, stimmte er zunächst zu. Doch als er sah, dass es hierfür keinen Zuschuss gab, endete sein Interesse für meine berufliche Weiterentwicklung.
Wie bist Du von Heidenheim nach Freiburg gekommen?
Meine Freundin lebt hier und entdeckte das Pflegeheim Katharinenstift, das bereit war, mir einen Ausbildungsplatz in Zusammenarbeit mit der “Altenpflegeschule DAA” anzubieten. Das beinhaltet einen zweijährigen Kurs für Ausländer inklusive Deutschunterricht. Der Leiter des Heims erkannte mein Bildungsniveau sowie meine einjährige Berufspraxis im Pflegebereich. Nach einem Probearbeitstag musste ich das A2-Niveau der deutschen Sprache nachweisen und einen Probeschultag in der “DAA Berufsfachschule für Pflege” absolvieren. Erst dann wurde ich zur Schule zugelassen und bekam einen Ausbildungsvertrag.
Jedoch konnte ich meine Ausbildung am 01. Oktober 2019 nicht beginnen: Als Asylbewerber musste ich eine Erlaubnis für den Umzug nach Freiburg beantragen. Das Ausländeramt Heidenheim sagte, ich solle zuerst die Umzugserlaubnis vom Ausländeramt Freiburg besorgen. Und das Ausländeramt Freiburg sagte, Heidenheim sei zuständig. Zahlreiche Nachfragen meines Rechtsanwaltes, den ich bezahlen musste, liefen ins Leere. Ich kam in der Wohnung meiner Freundin unter, besuchte die Schule und wartete noch immer auf die nötigen Bewilligungen. Das Ausländeramt Heidenheim sagte sogar, ich dürfe die Schule noch nicht besuchen, obwohl Schule und Ausbildungsbetrieb mich angenommen hatten. Schließlich schrieb meine Freundin an die Leiterin des Freiburger Ausländeramts, dass das Altersheim seit zwei Monaten auf mich wartete, dass der Verlust meines Ausbildungsplatzes drohte, und dass ich durch die Verzögerung keine gültige Krankenversicherung sowie keinerlei finanzielle Einnahmen hatte, da sich niemand mehr für mich zuständig fühlte. Diese Mail brachte endlich die Lösung. Die Erlaubnis, nach Freiburg zu ziehen, wurde jedoch nur unter der Bedingung einer “Verpflichtungserklärung” erteilt: Meine Freundin musste für mich für die nächsten fünf Jahre finanziell verantwortlich sein, falls meine Ausbildungsvergütung meinen Lebensunterhalt nicht sichern sollte. Im Dezember konnte ich endlich meine Arbeit beginnen, mit einem Arbeitsstunden-Minus von 2 Monaten. Ehrlich gesagt habe ich in Deutschland sehr viel gelitten, da mich trotz meiner Fähigkeiten und Motivation die Gesetze, Behörden und Personen immer wieder „zurückgeworfen“ haben.
Neue Ausbildung und dann Corona…
Als afrikanischer Mann wusste ich bereits um die täglichen rassistischen Kommentare und Taten hier. So blieb auch ich beim Start meiner Ausbildung nicht davon verschont. Ich zeigte meinen Mitmenschen meine beruflichen Fähigkeiten und Erfahrungen in der Pflege und überzeugte sie, dass Hautfarbe nicht wichtig ist. Im Katharinenstift fühle ich mich gut respektiert. Die alten Menschen sehen, dass ich eine gute Arbeit für sie mache. Meine Arbeitskollegen und Mitschüler kommen aus vielen Ländern und ein Großteil sind Afrikaner. Als Corona hier ankam, gab es zunächst einen Fall in der Schule. Im Unterricht besprachen wir die Hygieneregeln und was wir bei der Arbeit beachten müssen. Wenige Wochen später bekam ich starke Kopfschmerzen und Fieber, wurde positiv getestet und für 14 Tage unter Quarantäne gestellt. Zu meinem Glück war es nur eine leichte Infektion, so dass ich direkt danach wieder zur Arbeit ging; Alle freuten sich, mich gesund wiederzusehen, einige Kollegen waren ebenfalls erkrankt und zu Hause. Da ich als immun galt, versorgte ich nun vor allem infizierte Heimbewohner.
Wie stellst du dir deine Zukunft vor?
Ich musste hier meinen beruflichen Ehrgeiz an die Realität anpassen. Mein Deutschniveau war unzureichend, denn für ein Studium und für eine Lehrtätigkeit ist das Niveau C1 erforderlich. Doch Bildung und Weiterentwicklung bleiben für mich enorm wichtig; ich möchte zuerst meine Ausbildung abschließen. Dann schaue ich, ob Studieren dann noch möglich ist, oder ob mich die Arbeit als Altenpflegefachkraft im Dienst für hilfsbedürftige Menschen auf Dauer erfüllt. Ich sehe meine Zukunft in Freiburg mit meiner Freundin, aber bevor wir heiraten können, müssen wir erneut noch einige Hindernisse überwinden.
Was aus deiner Heimat vermisst du am meisten?
Am meisten vermisse ich meine Kinder im Alter von 10, 13 und 15 Jahren, ich habe sie seit unserem letzten Treffen in Guinea-Bissau nicht gesehen. Sie leben in Gambia bei meiner Mutter und meinem Bruder.
Was gefällt dir in Deutschland und in Freiburg gut, was weniger?
In Deutschland finde ich toll, dass die Menschen sich um die Erhaltung der Natur kümmern, dass sie anderen Menschen ehrenamtlich helfen und dass die Menschenrechte hier stärker als woanders respektiert werden. Das Schönste in Freiburg ist die Offenheit, die Toleranz und die Solidarität von Menschen gegenüber Flüchtlingen. So habe ich es nirgendwo anders erlebt. Außerdem mag ich den ÖPNV ─ einfach in die Straßenbahn steigen, wenn ich sie brauche. Was mich stört, ist das Misstrauen, dem wir als Afrikaner ausgesetzt sind. Wir geraten immer wieder in Polizeikontrollen und werden schnell verdächtigt. Bisher habe ich es nicht erlebt, dass weiße Menschen in gleichem Maße in solche Situationen geraten. Es ist manchmal schwer auszuhalten. Ich wünsche mir ferner, dass niemandem der Zugang zu Bildung und Arbeit verweigert wird. Für die Zukunft hoffe ich, dass die Regierung und die Behörden Menschen wie mich mehr ermutigen: Wir wollen ja unseren Beitrag für diese Gesellschaft leisten.
Autor: Jascha Andrew Hilkowitz
in Sachen Gerechtigkeit, Flüchtlinge und Menschenrechte privat und beruflich unterwegs
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