Rollstuhl

Dicke Bretter – Barrierefreiheit

Berth Noeske, von 1984 – 1989 grünes Mitglied im Freiburger Gemeinderat, kritisiert die städtische Bauabnahme und damit die mangelnde Barrierefreiheit vieler öffentlicher Gebäude. Er hofft, dass die Mitglieder des Behindertenbeirats verstärkt darauf aufmerksam machen und dazu beitragen, diesen Missstand zu beheben.

Kleiner Rückblick als Einstieg: Schon in den 1980-er Jahren gab es eine engagierte „Freiburger Arbeitsgemeinschaft  Miteinander Leben (FAG)“. An deren Sitzungen hatte ich seit 1984 als Vertreter der Grünen Fraktion regelmäßig teilgenommen. Der FAG gelang es Mitglieder als sachkundige Bürger*innen im Jugend- und Sozialausschuss neben Vertreter*innen der traditionell vertretenen Wohlfahrtsverbände zu etablieren. 2008 konnte schließlich ein „Beirat für Menschen mit Behinderung der Stadt Freiburg“ installiert werden. 2016 wurde zur Koordination des „Behindertenbeirats“ eine hauptamtliche Stelle geschaffen. Der Beirat setzt sich aus 16 betroffenen Bürger*innen und Stadträt*innen sowie dem Sozialbürgermeister zusammen.

Während sich die FAG früher ziemlich offensiv mit ihren Anliegen an die Stadt, an die Fraktionen und die Presse wandte, scheinen ihre Anliegen heute leider weniger öffentlich auf dem Verwaltungsweg behandelt und aus meine Sicht ausgebremst zu werden.

DIN Norm für barrierefreies Bauen – wie ernst wird diese Vorschrift genommen?

Vor allem auf dem Sektor des barrierefreien Bauens gilt es nach wie vor dicke Bretter zu bohren. Hier fanden diverse Vereine wie FAG, Freiburg für alle oder Einzelpersonen noch nie besonders offene Ohren – weder bei der Stadt noch bei der Stadtbau. Schon 1996 stellte Walter Witzel – damals für Bündnis 90 / die Grünen Landtagsabgeordneter in BaWü– eine Anfrage zum barrierefreien Bauen an die Landesregierung und fragte, ob der Landesregierung bekannt sei, dass gegen die DIN 18024.1 und .2 verstoßen würde.

Diese DIN Norm beschreibt die Anforderungen an das barrierefreie Bauen öffentlicher Verkehrswege und Gebäude für behinderte und ältere Menschen. Sie soll Rollstuhlbenutzer*innen, blinde und sehbehinderte sowie gehbehinderte Menschen, gehörlose und hörgeschädigte Menschen sowie Menschen mit sonstigen Behinderungen, aber auch Kinder, kleinwüchsige und großwüchsige Menschen ermöglichen, sich überall fortbewegen und ihre Zielorte erreichen zu können

Auch die Freiburger Stadtbau, Bauverwaltung und Regierungspräsidium wehrten Kritik unisono ab oder räumten zumindest mangelnde Personalkapazität als Begründung für Versäumnisse ein.

In diesem Jahr hat sich die Freiburger Stadtbau endlich dazu durchgerungen einen Maßnahmenkatalog für barrierefreies Bauen zu erstellen. Doch dieser listet im Wesentlichen lediglich die seit weit über zehn Jahren bestehenden Bauvorschriften für den barrierefreien Wohnungsbau auf.

Ein paar Beispiele, die das Leben für Menschen mit Behinderung schwer machen

Schauen wir uns einmal näher die Details an, die Menschen mit Behinderungen vor schwierige Herausforderungen stellen und die Barrierefreiheit unterlaufen:

  • Wenn Gebäudebeispielsweise im Eingangs- oder Balkonbereich Schwellen von 2 und mehr cm aufweisen,
  • wenn die Klingelanlage, die Fahrstuhlknöpfe  und Briefkästen über  1,10 m reichen ,
  • wenn weiße Lichtschalter auf weißem Grund ohne Kontrastrahmen montiert sind,
  • wenn Handläufe vergessen oder der Handgriff am Waschbecken durch die Schiebetür unbrauchbar werden, wie im neuen Pflegeheim Haus Heiliggeist der kommunalen Heiliggeistspitalstiftung,

… dann dürften sie nicht als barrierefrei vermarktet werden. Die Realität sieht oft anders aus.

Für mich ist klar: Bei ordentlicher Bauabnahme sollten Nachbesserungen und Umbau eingefordert werden. Werden diese verweigert, sollten die Zuschussgeber Rückforderungen stellen. Wichtig ist mir darauf hinzuweisen, dass Mieter*innen, die im guten Glauben eine barrierefreie Wohnung gekauft oder gemietet haben, berechtigt sind, Nachbesserungen, also teure Instandsetzung, einzufordern.

Was wirklich traurig stimmt: Bieterfirmen, die sich der DIN 18024 verpflichtet fühlen, wurden leider in den letzten Jahren wettbewerbsmäßig benachteiligt, denn sie werden in der Regel unterboten.

Erklärtes Ziel des Behindertenbeirates, so der Text in der städtischen Homepage, sei die selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen in allen Lebensbereichen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention. Ich denke, da sollten sich die Beiratsmitglieder mit Hilfe aktiver Stadträt*innen noch viel mehr Gehör verschaffen.

Autor: Berth Noeske

1943 in Eberswalde geboren und mit der Familie 1955 nach West-Berlin geflohen, kam 1969 nach Freiburg, um Sozialarbeiter in einem Kinderheim zu werden. 1980 trat er den Grünen bei und war 1984 bis 1989 Stadtrat.

Ab 1990 engagierte er sich für rund zehn Jahre beim VCD-Freiburg als Kreisvorsitzender bis

zur Eröffnung der Fahrradstation. Danach wurde der Volksentscheid gegen Stuttgart 21 ein langjähriger Schwerpunkt.

Seit vielen Jahren unterstützt Berth die grünen Wahlkämpfe mit ausgefuchsten mobilen Infoständen. Er ist zudem qualifizierter Hausmann, da seine Frau eine Rehaeinrichtung leitete.

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