Der Pop Up Boulevard Lorettostraße am 13.Juni 2021
„Seit 80 Jahren wohne ich hier und noch nie war es so still, ich wurde zum ersten Mal von den Vögeln geweckt“, erzählt eine Anwohnerin, nachdem die Lorettostraße schon am frühen Sonntagmorgen nur noch dem Fuß- und Radverkehr zur Verfügung steht. Eine weitere Anwohnerin berichtet zum ersten Mal die Fenster zur Straße geöffnet zu haben.
Aktivist*innen des Fuß- und Radentscheides sowie anderer Initiativen hatten die Straße am 13. Juni für den motorisierten Verkehr zwischen Schwimmbad- und Goethestraße geschlossen: Um die Menschen sichtbar zu machen, die täglich unter einer extremen Verkehrsbelastung leiden – um Ihnen eine Straße zur Verfügung zu stellen, die sonst unter tausenden von PKW und LKW verschwindet. Täglich fahren im Durchschnitt rund 6.000 PKW durch die Straße. Und rund 1.000 größere KFZ und LKWs. Dies haben Messungen ergeben, die mit Hilfe eines Telraamgerätes durchgeführt wurden.
Die Lorettostraße hat den „gefährlichsten Zebrastreifen der Stadt“
Die Lärmbelastung unter der vor allem die Anwohner*innen leiden, ist dabei nur eines der Probleme. Die schmale Lorettostraße wird als Ost-West-Verbindung genutzt, in der Mitte liegen Schule, Kindergarten und Schwimmbad, ruhender Verkehr sorgt zusätzlich für Behinderungen, es ist unübersichtlich, schadstoffverpestet, gefährlich. Vor allem die Schüler*innen der benachbarten Lorettoschule sind durch den Durchgangsverkehr und die parkenden Autos enormen Gefahren ausgesetzt. Hinzu kommen Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen – nicht selten parken sie auf Gehwegen oder in Einfahrten und gefährden dadurch die Sicherheit zusätzlich. Ein Vater der nahegelegenen Montessori Grundschule hält den Zebrastreifen auf der Höhe Goethestraße für den gefährlichsten Zebrastreifen der Stadt – niemals, sagt er, würde er seine Söhne die Straße alleine überqueren lassen. Dass die Kinder des AWO-Kindergartens direkt neben der starkbefahrenen Straße spielen, ist angesichts der Schadstoffbelastung eigentlich kaum zu glauben.
Ein traumhafter Sonntag auf einer kinderfreundlichen Straße ohne Verkehrslärm und giftige Abgase
An diesem Sonntag ist alles anders: Bäume und Pflanzen werden aufgestellt, Anwohner frühstücken auf der Straße, Babys krabbeln umher, Kinder machen barfuß Seifenblasen. Picknickdecken, Stühle und Tische werden mitgebracht, Anwohner haben eine Schaukel aufgehängt. Die Graffitikünstler Orange und TTF nutzen die leeren Parkplätze – besprühen sie mit Ornamenten und bunten Fußabdrücken. Viele Menschen unterstützen die Aktion – stellen Toiletten und Strom zur Verfügung und bringen das eigene Essen mit, denn der Tag wurde bewusst konsumfrei gestaltet. Der Verein Bike Bridge fährt Besucher mit seiner Fahrradrikscha umher. Bands treten auf. Den ganzen Tag ist mal leise, mal laute Musik zu hören. An diesem Tag ist die Freude der Anwohner spürbar. Die Lorettostraße ist als Ort sichtbar geworden, an dem Leben und Nachbarschaft möglich sind. Sie ist an diesem Sonntag bunt, kinderfreundlich und inklusiv.
Temporäre Spielstraße? Einbahnstraße?
Es gäbe viele Ideen zur Lorettostraße
Aber wie geht es weiter? Die Lorettostraße steht für die kommenden zwei Jahre nicht auf der Agenda der Stadt, obwohl es Möglichkeiten gäbe die Situation zu verbessern. Zum Beispiel mit einem Einbahnstraßensystem, oder indem die Straße durch Poller für den Durchgangsverkehr gesperrt wird. Auch eine temporäre Spielstraße wäre möglich. Dadurch könnte der Ausweichverkehr beobachtet werden. Sicherheit, Ruhe und saubere Luft wären die Folge: Ein neuer Ort könnte entstehen. Die Anwohner*innen hoffen weiter. Die Eltern und Kinder ebenfalls.
Autorin: Judith Winter
Sie lebt mit Mann und vier Kindern ohne Auto. Seit vielen Jahren ist sie aktiv bei den Grünen und meist engagiert an Infoständen bei Wahlkämpfen.
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