Liebe Grüne,
bald ist Landtagswahl und in eurem Wahlprogramm habt ihr gezeigt, dass ihr nicht nur die Partei mit der größten Fachkompetenz im Bereich Klima- und Umweltschutz seid, sondern euch auch trotz Regierungsverantwortung nicht scheut auszusprechen, dass in diesem Bereich noch viel mehr passieren muss, um einen gerechten Beitrag zur Verhinderung der nächsten globalen Krisen zu leisten. In den letzten 5 Jahren hat sich deutlich gezeigt, was den meisten von euch wahrscheinlich schon lange vorher bewusst war. Eine gemeinsame Regierung mit der CDU verhindert nicht nur effektiven Klimaschutz, sondern auch die wichtigsten, gesellschaftspolitischen Weichenstellungen in Baden-Württemberg in Bereichen wie Gleichstellung, Integration oder Sicherheit.
Im ökologischen Bereich habt ihr es in den vergangenen Wochen mit dem Rückenwind aus der Klimagerechtigkeitsbewegung geschafft, eure politischen Ziele so zu formulieren, dass sie im Rahmen der Kompetenzen einer Landesregierung umsetzbar sind und dennoch klar an das Pariser Klimaabkommen gekoppelt sind. Die Einführung eines Treibhausgasbudgets und eines Schattenpreises für potentielle, klimaschädliche Ausgaben des Landes wären Meilensteine in einer neuen Größenordnung für die Klimagerechtigkeit in Deutschland. Zum ersten Mal würden klimapolitische Maßnahmen in einem Ausmaß umgesetzt werden, die mit dem aktuellen wissenschaftlichen Stand dessen, was notwendig ist, d´accord gehen.
Die Klimakrise ist auch eine soziale Krise
Um wirkliche Klimagerechtigkeit zu erreichen, reicht ein bloßes Abrücken von den bisherigen, viel zu niedrigen Klimaschutzzielen und das Versprechen, in Zukunft noch mehr CO2 einzusparen, aber nicht aus. Die Klimakrise ist im Kern schließlich eine soziale Krise, die wir nur mit Solidarität gegenüber denjenigen, die von ihr am meisten betroffen sind, beantworten sollten. Auch in diesem Bereich lief in den letzten Jahren vieles schlichtweg falsch.
Baden-Württemberg ist das Bundesland mit den zweitmeisten Abschiebungen
Anstatt geflüchtete Menschen menschenwürdig unterzubringen, wurden mit den Landeserstaufnahmestellen Einrichtungen geschaffen, die Grundrechte von geflüchteten Personen wie die Unverletzlichkeit der eigenen Wohnung und ihrer Persönlichkeitsrechte in Frage stellen. Auch in Zeiten einer globalen Pandemie, die in vielen Herkunftsländern noch bedrohlicher wütet als in Deutschland, war Baden-Württemberg im ersten Halbjahr 2020 das Bundesland mit den zweitmeisten Abschiebungen überhaupt. Selbst nach Afghanistan – das Land mit der weltweit höchsten Zahl an verstreuten Landminen und Terroranschlägen auf Zivilist*innen – wurden viele Menschen abgeschoben.
„Nicht alle können dauerhaft hierbleiben“ – das ist Futter für Stammtischparolen
Mir ist natürlich klar, dass dieses Vorgehen auf das Wirken des CDU-geführten Innenministeriums zurück zu führen und dass es viele von euch sehr schmerzt diese Kompromisse passiv oder aktiv mittragen zu müssen.
Umso mehr wundere ich mich allerdings über Sätze wie „Nicht alle, die zu uns kommen, werden auch dauerhaft hierbleiben können.“ In eurem Wahlprogramm. Natürlich kann man argumentieren, dass solche Sätze schlicht und einfach der politischen Realität Tribut zollen und jede andere Darstellung unrealistisch wäre. Ich würde mir von einer grünen Partei der Menschenrechte aber wünschen, dass sie in ihren Programmen eben nicht nur den schwarz-grünen Status quo einordnet und klarstellt, dass stets versucht wird, die Situation dementsprechend zu verbessern. Was dabei herauskommt sind im Zweifel nämlich nicht nur Aussagen, bei denen der Kompromiss schon mitgedacht wurde, bevor verhandelt wird, sondern auch Futter für Stammtischparolen, die darauf abzielen geflüchtete Menschen gerne in Schubladen zwischen „darf bleiben“ und „muss gehen“ einteilen.
Bitte kämpft für eure ureigenen Ideale
Gerade vor einer Wahl wünsche ich mir, dass die Grünen zu ihren ureigenen Idealen stehen und diese kämpferisch bewerben. Ich glaube vielen Menschen aus meiner Generation würde es viel leichter fallen, euch zu wählen, wenn die Partei beschlossen hätte einen, mit Verlaub, so beschissenen Satz einfach mal nicht ins Wahlprogramm zu schreiben. Und wenn stattdessen ein klares Bekenntnis erfolgt wäre, dass wir in unserem Bundesland so wenige Abschiebungen haben wollen wie nur irgendwie möglich. Gerne auch beworben auf einem Plakat ohne alten, weißen Mann.
Simon Sumbert, Student, 21 Jahre alt. Stadtrat im Freiburger Gemeinderat. Er vertritt dort Junges Freiburg.
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