„Ob wir 2030 und 2040 unsere Klimaziele im Verkehr erreichen, entscheiden wir heute!“

Der Freiburger Klimamobilitätsplan

In Freiburg hat das Beteiligungsverfahren für den Klimamobilitätsplan (KMP) begonnen. Bürger*innen sind aufgerufen, ihre Kommentare bis 23. November abzugeben. Worum geht’s? Das erfahrt ihr im Gespräch mit Monika Zimmermann, Co-Sprecherin des AK Mobilität der Grünen

GIF: Liebe Monika, was ist ein Klimamobilitätsplan?

Monika: Die Idee stammt vom grünen Verkehrsministerium Baden-Württemberg. Ein örtlicher Klimamobilitätsplan betrachtet Klimaziele und Mobilitätsziele gemeinsam und entwickelt Maßnahmenpakete zu ihrer Erfüllung.

Weil ein Bundesland seine Kommunen nicht zwingen kann, Klimaziele zu beschließen oder die Mobilitätswende mit Nachdruck zu gestalten, bietet das Land nun Anreize. Wer einen Klimamobilitätsplan entwickelt, erhält dafür 50% Zuschuss. Kann der Plan dann das CO2-Reduktionsziel nachweisen, erhält die Kommune einen „Klimabonus“, also einen höheren Landeszuschuss für gelistete (Bau-)Maßnahmen. Übrigens kein anderes Bundesland bietet dies seinen Kommunen. Freiburg gehört zu den ersten vier vom Land ausgewählten Pilotkommunen in Baden-Württemberg.

GIF: Warum ist der Verkehrssektor für den Klimaschutz so wichtig?

In Baden-Württemberg kommen etwa 33% der gesamten CO2-Emissionen aus dem Verkehrsbereich. Wir wissen, dass gerade die Emissionen aus dem Verkehr kaum sinken, dieser sein (Sektor-) Klimaziel also nicht erfüllt. In Freiburg lagen die CO2-Emissionen aus dem Verkehr 2018 (letzte verfügbare Zahl) leicht höher als im Jahr 1992.

Das von Bundesverkehrsminister Wissing erstellte Klimasofortprogramm für Verkehr wird vom Expertenrat der Regierung als absolut ungenügend kritisiert. Und wir sehen ja: kein Tempolimit, Fortsetzung des Straßenbaus, Unterfinanzierung der Bahn, usw.

Verkehr gehört zu den schwierigsten Themen – auch in Freiburg. Alle sind direkt betroffen und wollen mitreden. Die Politik laviert äußerst vorsichtig und benennt die wirklichen Probleme, darunter den wachsenden Güterverkehr auf der Straße und den zunehmenden Besitz von PKWs, nur ungern.

GIF: Was macht Baden-Württemberg richtig?

BW wirkt vorbildlich: Das Verkehrsministerium hat die Klimaziele des Landes auf Verkehrsziele abgebildet. Siehe Grafik. Und genau hier setzen die Klimamobilitätspläne an. Ursprünglich sollten sie bis 2030 eine 40% CO2-Reduzierung nachweisen. Inzwischen hat BW die verstärkten Klimaziele der EU übernommen und in Folge auch die eigenen Verkehrsziele „nachgeschärft“. Neues Ziel ist, bis 2030 die Treibhausgase um 55% zu senken. Ein Klimamobilitätsplan muss dieses Ziel erreichen und ist gleichzeitig ein wichtiger Beitrag zur Verkehrswende.

GIF: Welche Instrumente helfen, im Verkehr die Treibhausgase runterzufahren?

Monika: Tempolimit und Abschaffung von Subventionen (z.B. Dienstwagenprivileg) sind bekannte Beispiele für „kostengünstige“ und sehr rasch wirksame Entscheidungen. Vor allem müssen wir langfristig denken: Die Planungs- und Investitionsentscheidungen, die wir heute treffen, beeinflussen, ja zementieren, unser Mobilitätsverhalten für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Wenn wir falsch investieren – also in neue Straßen, Tunnel, Flughafeninfrastruktur, zu schmale Radwege usw. – sind nicht nur unsere Finanzmittel weg, sondern wir erschweren durch diese veraltete Infrastruktur die Mobilitätswende. Wenn wir wichtige Infrastruktur abbauen, z.B. Güterbahnanschlüsse, werden wir sie nahezu nie mehr zurückbekommen. Anders ausgedrückt: Ob wir 2030 und 2040 unsere Klimaziele im Verkehr erreichen, entscheiden wir heute.

GIF: Wie ambitioniert ist der Klimamobilitätsplan Freiburg?

Neben einem Leitbild mit sinnvollen Planungsprinzipien und einem Gesamtbericht besteht der KMP aus 17 Maßnahmenbereichen. Siehe Grafik. Der KMP ist eine große Chance für Freiburg. Doch um wirklich in die Zukunft zu leiten, muss er viel ambitionierter werden. Wir als AK Mobilität wollen, dass dies von vielen Bürgerinnen und Bürgern in dem nun laufenden Beteiligungsverfahren auch deutlich zum Ausdruck gebracht wird.

GIF: Welche zentrale Forderung wird erhoben?

Monika: Zunächst muss das CO2-Reduktionsziel jetzt auf minus 55% erhöht werden. Als Freiburg 2021 in die erste Runde der Pilotgemeinden kam, galt noch die vom Land vorgegebene Reduktion von minus 40%. Städte, die nun mit einem KMP beginnen, müssen bereits minus 55% erreichen. Das sollten wir uns zum Maßstab machen, statt uns mit dem alten Ziel zu begnügen. Der Gemeinderat sollte minus 55% vorgeben. Durch unterschiedliche Bezugsjahre würde dies dann faktisch etwa minus 50% bis 2030 für Freiburg bedeuten.

GIF: Den Umweltverbund fördern reicht nicht aus?

Monika: Viele Vorschläge des KMP zur Förderung des Umweltverbundes sind sinnvoll. Wir wünschen sie uns allerdings früher, stärker und mit klar verbundenen Reduktionszielen.

Gleichzeitig sind sich Verkehrsexpert*innen einig, dass dies nicht ausreicht. Dem Autoverkehr müssen deutliche Schranken gesetzt werden. Für Freiburg bedeutet dies, dass wir Ziele und Maßnahmen für eine Reduzierung des PKW-Besitzes benötigen, der leider auch in Freiburg wächst. Bundesweit wissen wir, dass knapp ein Viertel aller Haushalte kein Auto besitzt. Die Zunahme des PKW-Besitzes kommt also zu einem guten Teil von Zweit- und Drittfahrzeugen. Die Produktion von Autos ist äußerst rohstoffintensiv, Autos benötigen viel Parkfläche. Diese Fläche wäre besser verwendet für Grünflächen und Wohnungsbau.

Ein Defizit des KMP ist, dass sich dieser nur auf die in Freiburg gefahrenen Kilometer bezieht und auch diese nur sehr mäßig reduzieren will.

GIF: Weniger Treibhausgase – wie erhofft sich der KMP hier Erfolg?

Monika: Der KMP-Entwurf hofft für 34% der Reduzierung auf Rahmenbedingungen, die ohnehin eintreten, insbesondere ein wachsender Anteil von E-Autos. Folglich sollen nur 6% aus Maßnahmen der Stadt selbst erfolgen. Aus unserer Sicht ist das viel zu wenig und schöpft das kommunale Potential nicht aus. Führen E-Mobilität, CO2-Preis, Homeoffice, technologische Entwicklungen wirklich zu den erhofften Spareffekten? Was ist, wenn die angenommenen Rahmenbedingungen nicht eintreten werden? Wir wollen, dass die Stadt selbst viel kreativer und aktiver die Mobilitätswende vor Ort gestaltet und dabei auch neue Instrumente wie etwa Straßennutzungsgebühren oder einen Mobilitätspass einsetzt.

GIF: Stichwort Pendler*innen: Wie wichtig sind die Verbindungen ins Umland?

Monika: Täglich pendeln mehr als 60.000 Personen nach Freiburg ein und mehr als 20.000 aus der Stadt heraus. Gleichzeitig übersteigt der Freiburger Freizeitverkehr ins Umland bereits den des beruflichen Pendelns. Wenn hier keine grundsätzlichen, umfassenden und gemeinsamen Lösungsansätze entwickelt werden, kann CO2-Einsparung nicht gelingen. Ein deutlicher Ausbau des öffentlichen Verkehrs – allen voran der BSB – muss einhergehen mit der gleichzeitigen Einschränkung des Autoverkehrs, um mehr Chancengleichheit zwischen den Verkehrsmitteln zu erreichen.

Der regionale und überregionale Verkehr muss also in der CO2-Berechnung mitbetrachtet werden. Das gilt für die geplante Autobahn durch Freiburg (Stadttunnel) ebenso, wie für die dringend notwendigen Radschnellverbindungen, die BSB u.ä.

GIF: Der KMP wird heftig kritisiert?

Monika: Ja, durchaus und zurecht. Freiburger Verkehrsinitiativen fordern, von einem „Weiter-so mit Schönheitskorrekturen“ abzurücken. Sie verlangen u.a. die Umwandlung von Autospuren in Radwege und ÖPNV-Spuren sowie die Einbeziehung des Baustellenverkehrs in C02-Bilanzen. Als zentrales Instrument einer Kommune fordern sie ein rasches und deutliches Parkraummanagement. Die Parents for Future fordern als Sofortmaßnahme 20% der städtischen Parkplatzfläche zu grünen Flächen mit Bäumen, Wildpflanzen, Sitzplätzen mit Wasserspendern und Radparkplätzen zu veredeln, das Gehwegparken zu beenden und den LKW-Transitverkehr zu verbieten.

GIF: Dein Fazit?

Monika: Der Klimawandel ist eine katastrophale Herausforderung, die wir noch nicht ernst genug nehmen. Jeder Klimaplan sollte sich nicht auf Stadtgrenzen beziehen, sondern den Einflussbereich einer Kommune betrachten und alle Verwaltungsteile einbeziehen. Beispiel: Klimaanpassung bedeutet nicht nur Bäume an Parkplätzen zu pflanzen, sondern deren Umwandlung in lebendige Grünanlagen.

Der KMP braucht ein effizientes Projektmanagement, viele zusätzliche Maßnahmen, Meilensteine, Monitoring, Umsetzungspersonal und Ansagen, was bei einer Nichteinhaltung passieren würde. Wir benötigen mehr Mut, Experimentierfreude und Reallabore, um neue Formen des Verkehrs und der Verkehrsvermeidung auszuprobieren: Verkehrsbeschränkte Quartiere (Superblocks), Straßenöffnungen für Menschen und ihre kleinen nicht- motorisierten Fahrzeuge, Bevorzugung von kleinen Leichtfahrzeugen gegenüber den zunehmend überdimensionierten PKWs gehören zu den Beispielen.

Ein Klimamobilitätsplan muss uns alle ermutigen, groß zu denken.

GIF: Herzlichen Dank für das Gespräch!

Hintergrundinfo:

Zwischen dem 24. Oktober und dem 23. November 2022 können sich Bürger*innen entweder online oder im Rathaus im Stühlinger zum Klimamobilitätsplan äußern.

Danach wird die Endfassung des Klimamobilitätsplans formuliert. Sie greift die Rückmeldungen der politischen Gremien, Abstimmungen mit dem Verkehrsministerium Baden-Württemberg sowie die Kommentierungen aus der Öffentlichkeitsbeteiligung auf. Im Frühjahr 2023 steht der finale Beschluss durch den Gemeinderat an. Damit ist die Grundlage gegeben, in die Umsetzung der Maßnahmen bis 2030 einsteigen zu können.

Weiterführende Links:

Verwandte Artikel