Stroh-Lehm-Holzhaus, Winzerhof Linder (Foto: Elena Bollin)

Klimaneutrale Gebäude und Quartiere

Der Gebäudesektor nimmt einen sehr hohen Endenergiebedarf ein. Klar ist: Wir müssen Wärme klimafreundlicher erzeugen und effizienter nutzen. Für den Klimaschutz ist die Wärmewende ein wichtiger Eckpfeiler.  Wie lassen sich klimaneutrale Quartiere ohne Biomasse entwickeln? Im GIF-Beitrag stellen wir euch das Konzept mit Wasserstoff vor.

Viele Kommunen wollen bis 2050 oder gar 2035 klimaneutral sein. Klimaneutralität bedeutet dabei meist, dass man die Jahresbilanz von Energieerzeugung und -verbrauch ausgleichen muss. Hierbei sollen ausschließlich erneuerbare Energieformen zum Einsatz kommen. Grundlage ihrer Klimaschutzpläne sind Energiepotentialstudien, die den gegenwärtigen Energieverbrauch abschätzen. Ein Maßnahmenplan gibt dabei vor, wo und wieviel Energie einzusparen ist und wieviel Erneuerbare pro Jahr zugebaut werden können. Der Jahresgang von Verbrauch und Erzeugung ist aber üblicherweise gegenläufig.

Eine ausgeglichene Jahresbilanz reicht nicht aus

Eine ausgeglichene Jahresbilanz ist daher zwar notwendig, aber sie reicht nicht aus, um ein Dorf oder eine Stadt tatsächlich über das ganze Jahr ohne schädliche Treibhausgasemissionen mit Energie versorgen zu können.

Hoher Energiebedarf im Gebäudesektor

Der Gebäudesektor nimmt etwa ein Drittel des Endenergiebedarfs ein. Bei kleinen Kommunen ohne große Gewerbebetriebe oder Industrie können die Gebäude sogar bis zur Hälfte des Energiebedarfs ausmachen. Die Gebäudestruktur in kleinen Kommunen ist eine andere als in großen Städten. Von den 22 Mio Gebäuden in Deutschland sind 19 Mio Wohngebäude und davon wiederum 16 Mio  Ein- und Zwei-Familien-Häuser. Lokale Klimaschutzpläne sollten daher konkret aufzeigen, wie sich Klimaneutralität mit dem vorhandenen Gebäudebestand realisieren lässt. Und sie sollten im ländlichen Bereich gezielt die vielen „Häuslebesitzer“ ins Visier nehmen. Einen goldenen Standard für den Weg zum klimaneutralen Gebäudebestand gibt es allerdings bis heute – von wenigen Ansätzen abgesehen – nicht.

 Blockheizkraftwerke mit Biogas: flexibel, aber flächenintensiv

Solche Ansätze sind z.B. das energieautarke Bioenergiedorf St. Peter im Schwarzwald oder auch das „Mikrostadtwerk“ für den neu zu bauenden Berliner Stadtteil Neulichterfelde. Kernstück des Bioenergiedorfs St. Peter ist ein Hackschnitzel–Heiz­kraftwerk und ein ebenfalls mit Hackschnitzeln betriebenes Blockheizkrafwerk (BHKW). Dieser Ansatz ist allerdings nur dann klimaneutral, wenn ausschließlich Restholz zum Einsatz kommt, das andernfalls im Wald verrottet wäre. Nutzholz, selbst wenn es nur in dem Maße verwendet wird, wie es jährlich nachwächst, ist zu wertvoll zum Verheizen.

Beim „Mikrostadtwerk“ sollen BHKWs eingesetzt werden, die mit Biogas befeuert werden. Die Energiebilanz von Energiepflanzen ist aber höchst ineffektiv. Eine PV Freiflächenanlage, die an Stelle eines Energie-Maisfeldes aufgestellt wird, liefert das 40fache an Energie, schützt Boden und Grundwasser vor Überdüngung und bietet gleichzeitig ein hohes Maß an Biodiversität.

Ein spannendes Konzept:

Klimaneutrale Quartiere ohne Biomasse aber mit Wasserstoff

Im Folgenden soll ein Konzept für klimaneutrale Quartiere entwickelt werden, das ohne  Biomasse auskommt und auch im Bestand realisiert werden kann. Das hocheffiziente Prinzip „Heizen mit Wind“ ist dabei für die Endphase der Energiewende der Königsweg. Dieses Prinzip ist aber beim gegenwärtigen Ausbaustand der Windenergie, insbesondere in Süddeutschland, keine echte Option und liegt zudem meist außerhalb des Einflusses einzelner Kommunen. Auf der anderen Seite sind Solarmodule auf jedem Dach leicht zu installieren und geben den Hauseigentümern eine Möglichkeit, die Energiewende auf Gebäudeebene umzusetzen. Stärker als Windenergie unterliegt aber Photovoltaik großen saisonalen Schwankungen.

Wärmewende mit Wasserstoff

Die Herstellung von bilanzieller Klimaneutralität auf Gebäudeebene ist problemlos möglich: Das Gebäude wird mit einer Wärmepumpe beheizt, die PV Anlage auf dem Dach erzeugt Energie. Beispielsweise ergibt sich für ein Gebäude mit einem Jahresheizbedarf von 10.000 kWh, welches mit einer Wärmepumpe mit der Jahresarbeitszahl von  4 beheizt wird, ein Strombedarf von 2.500 kWh. Dies lässt sich in unseren Breiten bereits mit einer PV Nennleistung von 2,5 kWp bilanziell abdecken. Bilanzielle Klimaneutralität lässt sich demnach für ein ganzes Quartier dadurch herstellen, indem jedes einzelne Gebäude „klimaneutral“ gemacht wird.

Allerdings reicht der Sonnenstrom im Winter nicht aus, um die Wärmepumpe zu betreiben. Die Lösung wäre die Kombination aus Wärmepumpe mit einer Gastherme, welche die Heizzeiten abdeckt, zu denen kein Solarstrom zur Verfügung steht. Für den realen klimaneutralen Betrieb fehlt dann allerdings immer noch eine wesentliche Komponente: die Erzeugung des Brennstoffs.

Hierfür bietet sich Wasserstoff an: Er wird durch Elektrolyse von Wasser im Sommer durch den nicht für die Wärmepumpe genutzten Sonnenstrom erzeugt. Für den Betrieb mit Sonnenstrom ist die Leistung des Elektrolyseurs dabei auf die Nennleistung der PV Anlage abzustimmen. Eine wichtige Kennzahl ist dabei der Wirkungsgrad, der anzeigt, wieviele Kilowattstunden (kWh) des Energieträgers Wasserstoff aus einer kWh Strom erzeugt werden können. Kommerzielle Großanlagen arbeiten heute mit Wirkungsgraden von 50%. Dabei besteht noch hohes Verbesserungs­potential, denn Pilotanlagen erreichen bereits einen Wirkungsgrad von über 80%.

Speicherung von Wasserstoff

Die Investitionskosten pro kW installierte Elektrolyseleistung sind schon heute überschaubar und liegen bei 1.500 €. Im Rahmen der nationalen Wasserstoffstrategie ist damit zu rechnen, dass sie noch deutlich fallen werden. Für die Wiederverwendung als Brennstoff muss der elektrolytisch erzeugte Wasserstoff über einen Zeitraum von einem halben Jahr gespeichert werden. Diese Speicherung ist nicht einfach. Langfristig kann auch das Erdgasnetz auf Wasserstoff umgerüstet werden, so dass der Wasserstoff direkt bei der Elektrolyse in das Gasnetz eingespeist und zentral in Kavernen gespeichert werden könnte. Grundsätzlich ist aber damit zu rechnen, dass sich handhabbare technische Lösungen für die Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff innerhalb der nächsten fünf Jahre fest etablieren werden.

Reale energetische Jahresbilanzen

Aber reicht die Dachfläche des Gebäudes auch bei Berücksichtigung des Wasserstoff-Umwegs für eine vollständige Versorgung mit Sonnenstrom aus?

Moderne einkristalline Solarmodule haben eine hohe Ausbeute. Auf einem Quadratmeter Dachfläche lässt sich eine Nennleistung von 200 Watt installieren, welche pro Jahr 200 kWh an Sonnenstrom produziert. Bei einem mäßig isolierten Gebäude liegt der Jahresheizbedarf bei 100 kWh pro Quadratmeter. In der Jahresbilanz würde damit der Sonnenstrom vom Dach bereits zur Beheizung von zwei Stockwerken ausreichen.

Würde der Sonnenstrom ausschließlich zur Elektrolyse genutzt, so ließen sich damit 100 kWh Wasserstoff erzeugen. Abb. 1 verdeutlicht, dass der mit einem Wirkungsgrad von 50% erzeugte Wasserstoff gerade für eine Beheizung eines einstockigen Gebäudes mit einer Wasserstoff-Gastherme reichen würde.

Abb.1: PV Dachfläche, die zur Deckung eines Jahreswärmebedarfs von 10.000 kWh erforderlich ist.

Annahmen:
Wärmepumpe (WP): Jahresarbeitszahl: 4,3 Wirkungsgrad; Elektrolyse : 0,5
Blockheizkraftwerk (BHKW): Elektrischer Wirkungsgrad: 0,3; Thermischer Wirkungsgrad: 0,7

Gas-Wärmepumpen-Hybridheizung in Kombination mit PV kann sogar vierstöckige Häuser das ganze Jahr über beheizen

Mit einer Wärmepumpe lässt sich die Nutzung der installierten PV-Leistung erheblich verbessern, denn etwa die Hälfte der Heizenergie kann über erzeugten Solarstrom direkt abgedeckt werden. Dabei kommt durch den Bezug von Umweltwärme die Hebelwirkung der Wärmepumpe zum Tragen. So verbleibt zusätzlich Strom für die Elektrolyse.

Mit einer Gas-Wärmepumpen-Hybridheizung kann das Gebäude daher mindestens zwei Stockwerke haben und sich dennoch in der Praxis selbst mit Heizenergie versorgen. Durch Maßnahmen zur Wärmedämmung könnte der Verbrauch pro Quadratmeter halbiert werden. Eine Hybridheizung, welche mit PV kombiniert wird, könnte damit sogar vierstöckige Häuser ganzjährig beheizen und den dafür erforderlichen Brennstoff erzeugen. Der Elektrolyseur könnte dabei im Gebäude selbst aufgestellt werden oder an einer zentralen Stelle durch Solarstrom von vielen Dächern versorgt werden.

Wie kann verfügbarer Wasserstoff noch effizienter genutzt werden?

Moderne Gasthermen mit Brennwerttechnik erreichen thermische Wirkungsgrade von nahezu 100%. Dennoch ist dies nicht die effektivste Methode für die Beheizung eines Gebäudes. In Gedanken stellen wir uns der Einfachheit halber ein Gebäude oder Gebäudeensemble vor, welches zentral beheizt wird. Die effektivste Nutzung des Brennstoffs besteht darin, ihn in einem Blockheizkraftwerk zu verbrennen und die elektrische Energie zum Betrieb einer Wärmepumpe zu verwenden. Die Wärmepumpe stellt entsprechend ihrer Leistungszahl zusätzlich Umweltwärme zur Verfügung. Die elektrische Energie des BHKW erzielt daher im Vergleich mit einem hocheffizienten Ofen ein Vielfaches an Hebelwirkung. Das BHKW sollte dabei einen möglichst hohen elektrischen Wirkungsgrad aufweisen, um die Hebelwirkung optimal nutzen zu können. Ein BHKW mit einem elektrischen Wirkungsgrad von 50% kann eine Hebelwirkung von 2 erzielen. So kann sich ein gedämmtes achtstöckiges Gebäude mit dem Heizbedarf von 50 kWh/m2 durch ein BHKW in Verbindung mit einer Wärmepumpe und einer PV-Dachanlage durch das ganze Jahr hindurch autark versorgen.

Symbiose von Wärmepumpe und BHKW ist maßgeschneidert

Durch die Kopplung mit der Wärmepumpe stellt sich nicht die Frage, ob das BHKW elektrisch oder wärmegeführt betrieben wird. Der Strom für die Wärmepumpe wird nämlich genau dann benötigt, wenn von dem BHKW eine besonders hohe Heizleistung gefordert wird. Die Symbiose von BHKW und Wärmepumpe ist für die durch das BHKW gegebene Sektorkopplung maßgeschneidert.

Diese Überlegungen zeigen: Klimaneutrale Gebäude lassen sich durch eine Kombination von Photovoltaik, Wärmepumpe und elektrolytisch erzeugtem Wasserstoff als Brennstoff realisieren. Eine optimale Nutzung des erzeugten Wasserstoffs als Langzeitspeicher ergibt sich aber erst in Kombination mit wasserstoffkompatiblen BHKWs.


Abb. 2: Wasserstoffbasiertes Versorgungssystem für Gebäude und Quartiere

Eine Reduktion des Endenergiebedarfs durch Dämmung des Gebäudes ist für die Realisierung der Klimaneutralität äußerst hilfreich, aber nicht zwingend erforderlich.

Das dargestellte Konzept lässt sich ohne weiteres auf ganze Quartiere ausweiten. Für die einzelnen Gebäude könnte individuell entschieden werden, ob sie mit einer Wärmepumpe oder einem hocheffizienten BHKW ausgestattet werden sollen. Die Gebäude mit BHKW (und ohne Wärmepumpe) könnten mittels Solarthermie ebenfalls den Vorteil einer direkten Sonnenheizung wahrnehmen

Jedes einzelne Gebäude hat eine positive Klimabilanz

Für einen elektrischen Wirkungsgrad  von 0,3 sind pro 10 000 kWh Wärmejahresbedarf eines Gebäudes etwa 5  kWp Leistung zu installieren, wenn eine handelsübliche Luft-Wasser-Wärmepumpe verwendet wird. Jedes Gebäude für sich hat dann bei Beheizung mit einer Wärmepumpe eine positive Klimabilanz. Gebäude von Eigentümern, die darin ein Blockheizkraftwerk installieren möchten, werden durch die einheitliche Bewertung aller Gebäude nach Verbrauch und installierter PV Leistung bei der klimarelevanten Beurteilung den übrigen Gebäuden gleichgestellt. Als dritte Möglichkeit besteht der Anschluss an ein Wärmenetz, das von einem zentralen BHKW gespeist wird. Für diesen Ansatz eines klimaneutralen Quartiers ist es entscheidend, die Anzahl der Gebäude für Wärmepumpen und für Fernwärmeversorgung entsprechend dem elektrischen Wirkungsgrad des BHKWs aufzuteilen und einzuhalten.

Schrittweise Umrüstung jedes einzelnen Gebäudes im Quartier

Die Relation zwischen Heizbedarf, PV Nennleistung und elektrischem Wirkungsgrad ermöglicht eine individuelle Bewertung jedes einzelnen Gebäudes. Und es ermöglicht eine schrittweise Umrüstung Haus für Haus. Dies gelingt, indem nach jeder Sanierung die zur realen Deckung erforderliche PV Nennleistung und die zum verfügbaren BHKW Strom optimal passende Wärmepumpenleistung dem sanierten Bestand neu austariert wird. Indem der tatsächliche Heizbedarf (und keine gebäudespezifischen Wärmekennzahlen) zu Grunde gelegt wird, wird auch den unterschiedlichen Klimalagen (z.B. Gebirgslage oder Oberrheinebene) bei der Bewertung Rechnung getragen.    

Fazit:

Heizen mit Wind unter Einsatz von Wärmepumpen ermöglicht einen Treibhausgas neutralen Gebäudebetrieb. Und es gewährleistet die Deckung eines gegebenen Wärmebedarfs durch ein Minimum an Primärenergieeinsatz.

Im Bestand kann allerdings auch eine Kombination aus PV Dachanlage und Wärmepumpe eine Heizung ohne CO2 Emission ermöglichen und den realen Energiebedarf für die Gebäudewärme decken. Mehr als die Hälfte des Heizbedarfs kann durch Wärmepumpen gedeckt werden, wenn sie direkt mit Eigenstrom betrieben werden. Für die sonnenarme Winterzeit ist eine Mischung aus BHKW und Wärmepumpe zur Wärmeerzeugung optimal. Für einen Transfer des Solarenergieüberschuss vom Sommer in den Winter kann Wasserstoff eingesetzt werden, der so zu einem wichtiger Baustein für die Wärmewende wird. Allerdings: Eine direkte Verbrennung von Wasserstoff ist ökonomisch nicht sinnvoll. Vielmehr lässt sich durch Rückverstromung in BHKWs in Verbindung mit Wärmepumpen eine deutliche Hebelwirkung der Heizleistung erreichen.

Autor: Matthias Seelmann-Eggebert

Diplom-Physiker und Mitglied im AK Klimaschutz der Freiburger Grünen.

Außerdem Gemeinderat der Fraktion WBU/Die Grünen in Au und Mitglied im Beirat des CO2 Abgabe e.V.

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