Prostitution geschieht meist unter Zwang

Das aktuelle Prostituiertenschutzgesetz wird häufig kritisiert, weil es nicht ausreichend Schutz bietet für Frauen. Demgegenüber steht das Modell aus Skandinavien, das sogenannte „Nordische Modell“, das u.a. ein Sexkaufverbot und Aussteigerprogramme beinhaltet. In unserem GIF-Artikel findet ihr eine Einführung  und die Befürwortung unserer Autorin für das Nordische Modell.

Das im Jahr 2001 durch die rot-grüne Bundesregierung beschlossene Prostitutionsgesetz hat die Sittenwidrigkeit der Prostitution abgeschafft. Damit sollte es den in der Prostitution Tätigen ermöglicht werden, ihre Entgeltforderung einzuklagen und Zugang zu Sozialversicherungen zu erhalten.

Wenn ein Prostitutionsgesetz die Sexindustrie stärkt …

Das nur aus drei Paragraphen bestehende Gesetz verschlechterte jedoch die Situation der (meist weiblichen) Prostituierten und stärkte faktisch die Stellung der Bordellbetreiber, der Sexindustrie und der Freier. Denn die „Legalisierung“ zog viele (meist) Männer an, die mit der Prostitution Geld verdienen wollten. Bordelle schossen aus dem Boden, ohne dass diese irgendwelchen Regelungen unterworfen waren. Nicht nur die oftmals übergriffigen Freier/Kunden waren nun das Problem, sondern auch die „Arbeitgeber“/Zuhälter/Bordellbetreiber und Auswüchse wie „Flat-Rate-Bordelle“.

Wenn ein Prostituiertenschutzgesetz ebenfalls nicht ausreicht …

Der offensichtliche Handlungsbedarf führte 2017 zu dem nach wie vor geltenden Prostituiertenschutzgesetz. Dieses sieht u.a. vor, dass Personen, die ein Prostitutionsgewerbe betreiben (z.B. Bordellbetreiber) eine Erlaubnis benötigen und dass Prostitutionsstätten gewisse Standards aufweisen müssen (z.B. Sanitär- und Aufenthaltsbereiche, Notrufsysteme). Den Behörden werden Kontrollbefugnisse eingeräumt, die „Kondompflicht“ sowie eine Registrierungs- und Beratungspflicht für Prostituierte sind ebenfalls vorgesehen. Letzteres sollte auch dazu dienen, potentielle Opfer von Menschenhandel zu identifizieren und sie mit Hilfsangeboten in Kontakt zu bringen.

Die Evaluation dieses Gesetzes ist für 2025 vorgesehen. Zwar hat es gewisse Verbesserungen gegenüber dem Prostitutionsgesetz von 2001 gebracht. So konnten z. B. in Freiburg einige Bordelle geschlossen werden, in denen Frauen unter widrigsten Bedingungen arbeiten mussten und auch der beginnende „Rockerkrieg“ um die Vorherrschaft im Rotlicht-Milieu in Folge der inflationär gegründeten, zunächst nicht erlaubnispflichtigen, Bordelle konnte eingedämmt werden. Allerdings sind sich sowohl Befürworter*innen als auch Gegner*innen der Prostitution weitgehend einig, dass das Gesetz nicht gelungen ist.

Wenn alle ein Gesetz für misslungen halten …

Befürworter*innen der Prostitution sind in der Regel vertreten durch freiwillige Prostituierte, die eloquent durch die Talkshows tingeln und pro „Date“ bis zu 2.000 Euro verlangen, sich ihre Kunden selbst aussuchen und nicht bis zu 90% ihres Einkommens an ihren Zuhälter abgeben müssen. Sie sind damit kaum repräsentativ für die Masse der Prostituierten.

Befürworter*innen der Prostitution sind natürlich auch die Profiteure des Systems, also Bordellbetreiber. Beide Gruppen halten das Gesetz für misslungen, weil es zu viele Auflagen für Betriebsstätten vorsieht und es eine Anmeldung bzw. Registrierung von Prostituierten verlangt, die einen Eingriff in die Privatsphäre darstelle.

Gegner der Prostitution halten das Gesetz u.a. deswegen für defizitär, weil es die Prostitution normalisiert. Damit signalisiere es gerade gegenüber den oft vulnerablen Frauen, dass alles, was ihnen widerfährt, staatlich geduldet oder gar gewollt ist. So wird u.a. von Zuhältern genau dies ins Felde geführt, um Frauen von einer Strafanzeige abzuhalten, nach dem Motto: „Es ist alles legal was wir tun, worüber willst Du Dich beschweren?“. Auch wird argumentiert, diese Gesetzeslage mache Deutschland zum „Bordell Europas“, da die „legale Prostitution“ eine große Nachfrage schaffe, die dann wiederum Menschenhandel und die Zwangsprostitution fördere.

Wenn eine soziale Absicherung der Prostituierten fehlt ….

Die Corona-Pandemie hat weitere Schwachstellen des Gesetzes aufgedeckt: es hat nicht bewirkt, dass Frauen in der Prostitution sozial-/arbeitsrechtlich abgesichert sind. Vehement wurde gefordert, Prostitutionsstätten müssten trotz Pandemie geöffnet bleiben, da die Frauen anderenfalls auf der Straße stünden und nichts zu essen hätten. Wären sie alle sozialversicherungspflichtig gemeldet (gewesen), hätten sie – bei abhängiger Beschäftigung – Arbeitslosengeld erhalten, Staatshilfen als Selbständige oder zumindest Hartz IV. Dass sie „auf der Straße stehen und nichts haben“ deutet sehr darauf hin, dass sie – trotz unserer liberalen Regelungen – „illegal“ gearbeitet haben, somit das Gesetz seine Wirkung (bessere Absicherung der Prostituierten) verfehlt.

Wenn ein Großbordell sich als „Wellness-Oase“ beschreibt….

Wie könnte eine Lösung aussehen, die dem Anliegen, Frauen in der Prostitution zu helfen, gerecht wird? Eine Möglichkeit besteht darin, das Prostituiertenschutzgesetz zu überarbeiten und weitere Mittel zu finden, um die Frauen zu erreichen, sie zu bestärken und ggf. aus ihrer vulnerablen Lage zu befreien, damit sie wirklich selbstbestimmt leben können. Konkrete Handlungsmöglichkeiten hierfür sind jedoch schwer vorstellbar, insbesondere unter Berücksichtigung der Profiteure des Geschäfts. Es handelt sich in der Regel nicht – wie ebenfalls in vielen Talkshows kolportiert wird – um „normale“ Geschäftsleute, sondern oft um solche aus einem Milieu, das gesetzliche Vorgaben allenfalls respektiert, wenn es ihren Zwecken dient. Eindrucksvoll hat der Fall des Großbordells „Paradise-Club“ in Stuttgart gezeigt, dass es „saubere“ Prostitution nicht gibt. Die Betreiber des Bordells waren jahrelang gerngesehene Gäste in verschiedenen Talkshows und haben sich als „normale“ Geschäftsleute präsentiert.

Tatsächlich war es ihnen nicht möglich, für ihre „Wellnessoase“ in Stuttgart ausreichend freiwillige Prostituierte zu finden, die bereit waren, dort zu arbeiten und die Nachfrage zu bedienen. 2013 brüsteten sich die Betreiber damit, laufend bis zu 900 Frauen und Mädchen gleichzeitig den „bedürftigen“ Kunden anbieten zu können.

Wenn Prostitution oft Menschenhandel bedeutet …

Da es offensichtlich keine Option war, den Betrieb einzustellen oder das Angebot zu reduzieren, holten sich die Betreiber Hilfe von rockerähnlichen Gruppierungen, die „ihre Mädchen“ dorthin zum „arbeiten“ schickten. Sicher kein Einzelfall und ein Beleg dafür, dass „freiwillige Prostitution“ und Menschenhandel/Zwangsprostitution nicht zu trennen sind bzw. zumindest große Überschneidungsflächen aufweisen. Eine Verurteilung der Betreiber zu mehrjährigen Haftstrafen u.a. wegen Beihilfe zur Zuhälterei und zum schweren Menschenhandel folgte. Das Bordell ist mittlerweile insolvent. Weil es ohne Menschenhandel und Zwang nicht rentabel geführt werden kann?

Deutlich ist: Eine Überarbeitung/Verbesserung des bestehenden Prostituiertenschutzgesetzes wird angesichts der involvierten Akteure nicht zum Erfolg führen und vulnerablen Frauen wenig nützen.

Paradigmenwechsel:

Das Nordische Modell der skandinavischen Länder

Eine andere Lösungsmöglichkeit wäre ein völliger Paradigmenwechsel hin zum sogenannten Nordischen Modell. Gegen dieses Modell herrschen (unberechtigterweise) Vorbehalte. So wird behauptet, es würde Prostituierte stigmatisieren und kriminalisieren. Dies ist falsch. Das Nordische Modell will explizit gerade keine Kriminalisierung bzw. Bestrafung von Frauen, die in der Prostitution arbeiten (1. Säule). Gefordert wird aber die Bestrafung von Freiern, die die „Dienstleistung“ von Frauen in Anspruch nehmen (2. Säule). Der Gedanke dahinter ist kein moralischer, sondern der der Gleichstellung der Geschlechter. Bei Prostitution geht es nicht darum, mit wem Frauen Sex haben dürfen, sondern ob Männer sexuelle Handlungen kaufen dürfen (und ob die Frauen dann mit diesen Männern Sex haben müssen). Es ist nicht okay, wenn Männer Frauen kaufen. Die Gesellschaft (und damit auch die Gesetzgebung) sollte dies auch so kommunizieren.

Eine weitere Säule des Nordischen Modells sind breitgefächerte und gut zugängliche Hilfsangebote für Frauen in der Prostitution. Keine Frau, die diesen „Job“ nicht machen will, sollte ihn machen müssen, daher müssen Ausstiegs- und Alternativangebote gemacht werden, gerade auch für sog. Armutsprostituierte, die mit ihrem „Lohn“ ihre Familie im Heimatland unterstützen.  

Bessere Strafverfolgung von Menschenhändlern und Zuhältern

Natürlich wird auch das „Nordische Modell“ nicht zur Abschaffung der Prostitution (und des damit verbundenen Menschenhandels und der Zwangsprostitution) führen. Aber das Argument gegen das Nordische Modell, damit würde „alles in der Illegalität“ stattfinden und man habe gar keine Kontrollmöglichkeiten mehr, ist nicht überzeugend. Denn erstens findet auch hier, bei unserer prostitutionsfreundlichen Gesetzgebung, vieles bereits in der Illegalität statt (siehe oben: Auswirkungen von Corona, siehe oben: „Paradise“) und zweitens hätten bei Einführung des „Nordischen Modells“ Strafverfolgungsbehörden bessere Ansatzpunkte für Verdachtsgewinnung und Ermittlungen unabhängig von möglichen Aussagen der Prostituierten. Jegliche Vorgaben von Ort, Zeit, Art der Dienstleistung und erst recht jegliche Organisation von Prostitutionsstätten würde einen Anfangsverdacht gegen potentielle Menschenhändler und Zuhälter begründen.

Prostituierte und Kunden auf Augenhöhe

Die durch das Nordische Modell begründete „kundenunfreundliche“ Gesetzgebung würde zu weniger Nachfrage führen. Damit gibt es auch für Menschenhändler weniger Anreiz, Frauen hier in die Prostitution zu zwingen. „Freiwillige“ Prostituierte hätten zwar möglicherweise weniger Kunden, da die Strafbarkeit den einen oder anderen Freier abschrecken mag. Gleichzeitig aber würde dies dazu führen, dass Prostituierte und Freier eher auf Augenhöhe verhandeln können. Denn der Freier muss sich bewusst sein, dass – wenn er sich nicht an Absprachen hält, er den Lohn nicht zahlt, er eine Dienstleistung einfordert, die nicht vereinbart war – die Prostituierte gegen ihn ein Druckmittel, nämlich die Strafanzeige, hat. Auch die Einstellung der Freier gegenüber der Prostituierten mag sich hierdurch ändern. Auf einem Workshop berichtete eine deutsche Prostituierte, dass ihr Kunden aus nordischen Ländern (in Schweden und Norwegen gibt es das nordischen Modell bereits) viel lieber sind, da diese sehr viel höflicher und zurückhaltender auftreten als deutsche Kunden, die mit einer – euphemistisch formuliert – hohen Erwartungshaltung ankommen.

Reden wir endlich über die Freier

Unabhängig von Detailfragen stellt sich die grundsätzliche Frage, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Prostitution gilt als „das älteste Gewerbe der Welt“. Ist es damit automatisch erhaltenswert? Ist nicht Prostitution die älteste Ausdrucksform der Herrschaft des Mannes über die Frau? Er hat Bedürfnisse und sie muss diese bedienen? Sind wir da nicht zwischenzeitlich etwas weiter? Es wird immer über die Stigmatisierung der Prostituierten gesprochen – die sollte es nicht geben. Aber es sollte über die Freier gesprochen werden. Wollen wir Männer, die auf teilweise widerwärtigste Weise in Freierforen Frauen „bewerten“ bestärken, in dem wir (legislativ) sagen: es ist okay, wenn Du Dir gelegentlich eine Frau kaufst, um sie nach Deinem Willen zu benutzen? Legalisieren wir damit nicht strukturelle Gewalt, wenn in 80-90 % der Fälle die Frau dem Freier unterlegen ist, sei es, weil sie aus dem Ausland kommt und die Sprache nicht beherrscht, ihre Rechte nicht kennt, sie unter dem Zwang eines Zuhälters steht oder schlicht als Armutsprostituierte auf das Geld zwingend angewiesen ist?

Prostitution ist strukturelle Gewalt gegen Frauen

Im Grünen Grundsatzprogramm wird an vielen Stellen die Gleichberechtigung der Geschlechter betont. Im Fraktionsbeschluss vom 23.09.2014 (Grüne Position zur Prostitution) wird dieser Aspekt noch nicht einmal erwähnt. Es gibt viele gut begründete Ansichten und Forschungen, die darlegen, dass Prostitution strukturelle Gewalt gegen Frauen ist. U.a. haben dies die Delegiertenversammlung des Landesfrauenrats Baden-Württemberg 2013 sowie das Europäische Parlament 2014 in einer Resolution festgehalten.  Es ist evident (trotz sicherlich auch existierender männlicher Prostituierter und weiblicher Freier), dass Prostitution auch ein Gleichstellungsthema ist. In ihrer Dissertation zum Thema Gleichbehandlung und Prostitution kommt die Freiburger Juristin Rahel Gugel im Jahre 2010 zu folgender Schlussfolgerung: „Die Legalisierung von Prostitution […] führt damit gesamtgesellschaftlich zugleich zu einer Normalisierung, gesellschaftlicher Akzeptanz und auch zu einer Zementierung einer geschlechterhierarchisierenden, von struktureller und sexueller Diskriminierung geprägten Lebenswirklichkeit, und zwar nicht nur von Prostituierten, sondern von allen Frauen. Dies machen zunehmende Geschäftsabschlüsse und -essen in Bordellen oder auch Besuche von Bordellen nach Vorstellungsgesprächen deutlich, die eindeutig Ausschlusskriterien für Frauen in diesen Berufsbrachen oder Führungsebenen sind“. Ergänzend kann in diesem Kontext noch die „Belohnung“ von (männlichen) Arbeitnehmern mit Betriebsausflügen in Bordelle (so geschehen bei der Ergo-Versicherung sowie bei Wüstenrot) genannt werden.

Wir Grünen dürfen Zwangsprostitution nicht hinnehmen

Das aktuelle Grüne Grundsatzprogramm wendet sich vehement gegen Gewalt an Frauen. Der Aspekt Prostitution kommt im Grundsatzprogramm aber nicht vor. Die These, dass auch Prostitution (meist) auch Gewalt an Frauen ist, scheint aber alles andere als abwegig. Wird dies bewusst ausgeklammert, nur weil es sicher auch Frauen gibt, die sich freiwillig und selbstbestimmt prostituieren und solche, für die diese Tätigkeit Ausdruck ihrer sexuellen Selbstbestimmung ist. Und weil es auch Männer gibt, die sich freiwillig prostituieren? Sämtliche aufgezeigte Erwägungen wären überflüssig, gäbe es nur die letztgenannten Konstellationen. Notrufknöpfe in Bordellen, Kondompflicht, Anmeldepflicht etc. wären nicht erforderlich, da in solchen Fällen Frauen/Männer selbstbestimmt und selbstbewusst ihre Rechte gegenüber den Kunden durchsetzen könnten bzw. Kunden überhaupt frei wählen könnten. Aber die Anzahl solcher „freiwillig arbeitenden“ Frauen und Männer ist verschwindend gering. Man geht davon aus, dass  80-90% der Prostituierten nicht freiwillig ihren Körper verkaufen, sie sind Armutsprostituierte, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen. Im Umkehrschluss sind lediglich 10-20 % selbstbestimmt Prostituierte. Dies rechtfertigt daher nicht, das Elend der breiten Masse so hinzunehmen wie bisher.

Eine Diskussion dieser Fragen bei den Grünen unter Einbeziehung der Aspekte „Gewalt an Frauen“ und „Gleichstellung der Geschlechter“ ist dringend angezeigt. Der bestehende Fraktionsbeschluss von 2014 lässt diese Aspekte vermissen und bedarf der Überarbeitung.

Autorin: Julia Bosch

Julia ist Juristin und engagiert sich in unserem KV vor allem beim Arbeitskreis Sicherheit. Sie ist außerdem beim „Bündnis Nordisches Modell“ engagiert und setzt sich seit vielen Jahren mit dem Thema Prostitution auseinander.

Weiterführende Lektüre:

  • www.frauenrechte.de – Themen Frauenhandel und Prostitution (zahlreiche weitere Materialien)
  • https://sisters-ev.de
  • www.sandranorak.com (Blogg einer Aussteigerin)
  • Entschließung des Europäischen Parlaments vom 26.02.2014 zur sexuellen Ausbeutung und Prostitution und deren Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter
  • Rahel Gugel, Das Spannungsverhältnis zwischen Prostitutionsgesetz und Art. 3 II Grundgesetz, 2010

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