Sollte Cannabis legalisiert werden?

Die Legalisierung von Cannabis wird derzeit breit diskutiert. Lars Petersen, Stadtrat von Bündnis 90 / Die Grünen, wirft einen differenzierten Pro & Contra-Blick auf die Debatte.

Vor Jahren musste sich ein junger Mann vor mir verantworten. Die Staatsanwaltschaft warf ihm ein „Verbrechen“ vor, denn „mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer Betäubungsmittel in nicht geringer Menge besitzt, ohne sie auf Grund einer entsprechenden Erlaubnis erlangt zu haben“, wie es § 29a Betäubungsmittelgesetz (BtMG) beschreibt. 

Was war geschehen? Der junge Mann, Mitte 20, hatte in seiner kleinen Wohnung ein Growzelt aufgebaut, in dem er eine große Anzahl von Marihuana-Pflanzen pflegte und hegte. Abgeerntet hätte er daraus um die 800 Joints bauen können.

Nach gefestigter Rechtsprechung beginnt die „nicht geringe Menge“ bei Marihuana bei 7,5 Gramm reinem THC, umgerechnet 500 Joints. Der Angeklagte war seit Geburt HIV-positiv und litt (erkennbar!) unter regelmäßiger Appetitlosigkeit. Sein nachmittäglicher Joint war für ihn ein probates Mittel, Lust aufs Essen zu bekommen. Er war nicht vorbestraft, voll geständig und es gab auch keine Anhaltspunkte, dass er mit Marihuana dealen würde. 

Der Angeklagte wurde von mir zu einer Freiheitsstrafe von wenigen Monaten (für Interessierte: § 29a Abs. 2 BtMG) verurteilt, deren Vollstreckung natürlich zur Bewährung ausgesetzt wurde – der junge Mann musste also nicht ins Gefängnis.

Fallvariante: Der junge Mann ist Winzer, er kifft nicht, trinkt aber jeden Abend eine Flasche seines eigenen Spätburgunders. Und nun? Strafrecht bezweckt vor allem Prävention und Sühne, darf aber grundsätzlich nur auf „sozialschädliches Verhalten“ zielen. Was – vor allem im Vergleich zum Winzer – war sozialschädlich am Verhalten meines Angeklagten?

Womit wir im Thema sind: Sollte Cannabis legalisiert werden?

Besitz von Cannabis zu bestrafen, halten viele für verfassungswidrig 

Mehr als 120 Strafrechtsprofessor*innen haben sich in einer gemeinsamen Resolution unter dem Dach des Schildower Kreises schon 2015 klar geäußert: Die Cannabis-Prohibition ist gescheitert.

Das Bundesverfassungsgericht wird sich demnächst – nach der ersten Cannabis-Entscheidung aus dem Jahre 1994 – wieder äußern (müssen), denn mehrere Amtsgerichte haben dem BVerfG anhängige Strafverfahren vorgelegt, weil sie Vorschriften aus dem Betäubungsmittelgesetz, die den Besitz von Cannabis unter Strafe stellen, für verfassungswidrig halten. 

Die drei häufigsten Argumente in dieser Debatte

Die Argumente sind zahlreich und in den verschiedensten Foren auch bereits ausgetauscht. Hier deshalb nur in aller Kürze 3 Schlaglichter:

1 l Cannabis als Einstiegsdroge 
Fast jede/r meiner Angeklagten gibt an, zwischen 13 und 18 erstmals gekifft zu haben. Ist Cannabis deshalb eine Einstiegsdroge? Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung nannte die „simple These“, wonach Cannabis der erste Schritt in eine Drogenkariere mit dem Ende durch Überdosis in einer Bahnhofstoilette sei, schon 2008 als „widerlegt“. Der Weg in den Drogengebrauch und seine mögliche Verhaltensverfestigung werden durch komplexe Ursachen und Verläufe charakterisiert. Haschisch oder Gras seien nur ein Faktor von vielen und ganz sicher nicht DIE Einstiegsdroge. 

2 l Schwarzmarkt
Momentan wird Cannabis auf dem illegalen Markt verkauft. Die Erwerber*innen werden in die Illegalität gedrängt. Sie haben keine Möglichkeit, die Qualität des erworbenen Materials, das gelegentlich mit anderen Substanzen gestreckt wird, zu prüfen. Eine kontrollierte Abgabe jedoch könnte derartigen Entwicklungen durch staatliche Vorgaben, Gesetze und Kontrollen entgegensteuern und der Staat könnte, den (nicht kleinen) Teil der Bürger*innen, die Cannabis konsumieren, effektiver schützen.

3 l Ungleichbehandlung mit Alkohol
Die Abwandlung meines kleinen Einstiegsfalles zeigt es deutlich: Hier Strafbarkeit, dort – um es überspitzt zu formulieren – in einem Weinbaugebiet sozialadäquates Verhalten. Schon das Bundesverfassungsgericht bemerkte 1994, dass der Missbrauch von Alkohol Gefahren sowohl für den Einzelnen wie auch die Gemeinschaft mit sich bringt, die denen des Konsums von Cannabisprodukten gleichkommen oder sie sogar übertreffen. 

Also ist doch eigentlich alles klar, oder? Free Cannabis! Oder doch nicht?

Ich kann es mir leider nicht so einfach machen. Denn um nicht missverstanden zu werden: Cannabis ist eine gefährliche Substanz – wie Alkohol auch – die deshalb nicht verharmlost werden sollte. Mich irritiert deshalb, wenn in meinen Strafverhandlungen Cannabis als eine Art Wundermittel gegen allerlei Erkrankungen geradezu herbeigesehnt wird. Vor allem bei jungen Menschen dürfen die Gefahren von Cannabis nicht klein geredet werden. So ist es unklar, ob der Konsum die Erkrankung lediglich bei Menschen mit genetischer Disposition triggert, oder auch bei Jugendlichen ohne Disposition auslöst. Wissenschaftlich wird auch diskutiert, ob möglicherweise eine Prädisposition für psychische Erkrankungen, wie Schizophrenie, dazu führt, mit höherer Wahrscheinlichkeit Cannabis zu konsumieren. Studien sind sich uneins darüber, ob die Schäden, die ein Cannabis-Konsum in jungen Jahren auf das Gehirn hat, sich vollständig regenerieren können. Grundsätzlich gilt offenbar: „Je früher und je mehr, desto schlechter“ – wie bei Alkohol und Nikotin eben auch.

Legalisierung nur mit klaren Vorgaben und Einschränkungen

Ich selbst bin deshalb durchaus schwankend und Gegner einer Laissez-faire-Freigabe, ohne weitere Beschränkungen oder Maßnahmen. Sollte man sich zu einer Legalisierung von Cannabis durchringen, muss gleichzeitig sichergestellt werden, dass die Abgabe an Minderjährige auch weiterhin strafbar bleiben muss. Schon jetzt wird die Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. Gleichzeitig muss in erheblichem Maße in Prävention investiert werden. Suchtprävention, weder dramatisiert noch verharmlost, muss in die Lehrpläne aufgenommen werden. Cannabis darf nur in lizenzierten Fachgeschäften verkauft werden, denen bei Verstoß die Lizenz zu entziehen ist – was durch Testkäufe zu überprüfen ist. Ein Werbeverbot sollte selbstverständlich sein. 

Für mich kann ich deshalb sagen: „Wenn schon, dann so“.

Lars Petersen
Autor: Lars Petersen

Lars sitzt als grüner Stadtrat seit 2019 im Freiburger Gemeinderat. Er war Staatsanwalt und Familienrichter. Derzeit leitet er den Fachbereich Strafrecht am Amtsgericht, ist dessen Pressesprecher und Vorsitzender eines Schöffengerichts. Ansonsten kennt man ihn auch als Jazz-Musiker der REDHOUSE HOT SIX.

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