Buchtipp!

Kristina Lunz: „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen“

Das richtige Buch zur falschen Zeit? Oder doch genau richtig gerade jetzt? „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ von Kristina Lunz erschien zeitgleich mit dem russischen Überfall auf die Ukraine. Wer es liest, liest mit einer doppelten Perspektive vor dem Hintergrund des Krieges. Das ist eine Herausforderung für die Lektüre. Jedoch hat Kristina Lunz ein wegweisendes und inspirierendes Buch geschrieben, das dazu einlädt, Außen- und Sicherheitspolitik neu zu denken. Sie gibt einen guten Überblick über Konzept, Geschichte, Grundlagen, Chancen und Herausforderungen sowie aktuellen Praktiken feministischer Außenpolitik.

Auch wenn in Zeiten von Aufrüstung und Krieg manches utopisch naiv klingt, steckt in den über 400 Seiten so etwas wie die Bauanleitung für eine globale Friedensordnung von morgen. Wer sich für Außen-, Sicherheits-, Europa- und Friedenspolitik interessiert, hält vermutlich ein sich zu einem Standardwerk mauserndes Buch in Händen. Klar wird auch: Feministische Außenpolitik speist sich aus einer menschenfreundlichen humanen Haltung, die das Thema Gerechtigkeit auf vielen Ebenen durchdekliniert, um Konflikte erst gar nicht entstehen zu lassen.

Spätestens seit Annalena Baerbock als Außenministerin agiert, ist das Thema „Feministische Außenpolitik“ in Deutschland angekommen. Das Buch von Kristina Lunz kommt also doch zur richtigen Zeit und trägt das Theoriegebäude nun in die Breite.

Wer ist Kristina Lunz?

Ihre Kampagne gegen Sexismus in der Bild-Zeitung führte zu einem Shitstorm gegen sie. 2018 wurde daraufhin das Bild-Girl abgeschafft. Das sagt sehr viel über die Menschenrechtsaktivistin, Politikwissenschaftlerin, Unternehmerin, Speakerin und Politikberaterin aus. Kristina Lunz hat das „Centre for Feminist Foreign Policy“ in London und in Berlinmitbegründet und forscht dort seit einigen Jahren zu feministischer Außenpolitik. Aus diesem Hause stammt bereits eine Studie, die für das Europäische Parlament untersuchte, wie eine feministische Außenpolitik in EU-Entscheidungen berücksichtigt werden kann. Die Organisation wird u.a. durch die Heinrich-Böll-Stiftung gefördert.

Um was geht es Kristina Lunz?

In knappen Worten: Es geht ihr um eine globale Gleichberechtigung. Denn nur dann kommt es zu weniger Konflikten. Sie rückt die Konfliktprävention in der Außen- und Sicherheitspolitik in den Fokus. Und diese gelinge, so Lunz, nur durch die Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten. Dazu braucht es eine feministische Außenpolitik, um Herrschaftsstrukturen von Grund auf zu ändern und unterrepräsentierte Personengruppen verstärkt einzubinden.

Es geht ihr nicht nur um Sicherheit, sondern um Nahrung, Unterkunft, Bildung, Wohnen, Energie etc. und somit um das Wohlbefinden aller Menschen. Ihr ganzheitlicher Ansatz kritisiert patriarchale Systeme, die nur die Interessen bestimmter Gruppen verfolgen und ihre Privilegien verteidigen. Die Mehrheit der Menschen zahlt einen hohen Preis für diesen Machterhalt. Spannend ist u.a, wie sie auf intersektionale Weise Friedens- und Krisenpolitik in den Blick nimmt. Sie legt den Fokus auf das Empowerment von Frauen, People of Color, Indigenen, Menschen mit Behinderung, Geflüchteten.  

Die Klimabewegung wird von Frauen angeführt

Am Beispiel Klimagerechtigkeit wird besonders deutlich, was eine feministische Außenpolitik leisten kann. Zunächst ist es interessant festzustellen, dass die internationale Klimabewegung von Frauen angeführt wird. Neben Greta Thunberg in Schweden und Luisa Neubauer in Deutschland sind es vor allem indigene und Schwarze Frauen sowie Women of Colour, die sich weltweit – meist unter Lebensgefahr – für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen einsetzen. Klimaschutz und Klimagerechtigkeit sind ein „zutiefst feministisches Anliegen“, sagt Lunz. Das Pariser Klimaabkommen fordert uns auf, „unser politisches und ökonomisches System zu ändern“. Das gelingt nicht mit denselben Menschen, die zuvor ein zerstörerisches System mitaufgebaut haben und anführen. Pointiert auf den Punkt gebracht zitiert sie das Ergebnis einer empirischen Forschung: „Gesellschaften, die Frauen unterordnen und ausbeuten, ordnen auch Mutter Erde unter und beuten sie aus“. (Um es wissenschaftlicher auszudrücken, spricht man auch vom „White male effect“: Darunter versteht man das geringe Risikoempfinden von weißen Männern hinsichtlich der Klimakrise.)

Klima, Sicherheit und Frauenrechte

Klima, Sicherheit und Frauenrechte müssen zusammengedacht werden. Das fordert der UN-Bericht „Gender, Climate & Security“, den sie erwähnt. Dazu ein Beispiel: Wasser- und Energieknappheit in vielen Teilen der Welt führen zu einer Steigerung von männlicher Gewalt. Klimabedingte Instabilität aufgrund von Dürre und Hunger zwingt Männer vermehrt, sich extremistischen Gruppen anzuschließen. Das Gewaltpotenzial nimmt zu. Vor allem gegen Frauen.

„Es geht darum, dass wir auf mittlere und lange Sicht von einem System, das patriarchal aufgebaut ist und auf militärischer Stärke gründet, wegkommen. Statt militärischer Sicherheit sollten wir menschliche Sicherheit in den Fokus stellen. Das gelingt unter anderem durch die Förderung von Zivilgesellschaft, Menschenrechten und Multilateralismus.“

Kristina Lunz

Demilitarisierung, Diplomatie und Mediation

Die zentralen Elemente feministischer Außenpolitik sind Demilitarisierung, Diplomatie und Mediation statt Aufrüstung, Konfrontation und Gewalt. Lunz will Machtstrukturen aufbrechen und alte patriarchale Systeme beenden. Sie will einen Paradigmenwechsel einleiten: Machtgebaren und militärischen Muskelspielen setzt sie Mediation in Friedensverhandlungen, feministische Machtanalysen und Klimagerechtigkeit entgegen.

Kein Frieden ohne Feminismus

Eine feministische Außenpolitik legt den Fokus weniger auf die militärische und nationalstaatliche, sondern vor allem und grundlegend auf die menschliche Sicherheit, also auf die Menschenrechte sowie eine Stärkung von Zivilgesellschaft und Völkerrecht. Klingt pazifistisch? In einem Interview erklärt sie den Unterschied: „Feministische Außenpolitik basiert auf einer anderen Analyse. Sie geht eben gegen patriarchale Strukturen vor. Das hat der Pazifismus nicht als Ausgangspunkt seiner Analyse.“ Eine feministische Außenpolitik orientiert sich, so Lunz, an den Bedürfnissen aller marginalisierten Gruppen, von denen Frauen die zahlenmäßig größte sind.

Utopische Ziele?

Lunz bekennt sich mutig zu ihren utopischen Zielen. Vor 400 Jahren sei es völlig utopisch gewesen, die Sklaverei abzuschaffen, sagt sie. Und um die Jahrhundertwende sei das Wahlrecht für Frauen völlig utopisch gewesen. „Nur Menschen, die Utopien formuliert und für sie gekämpft haben, haben je zu sozialem Wandel beigetragen. Sie haben den Weg dafür bereitet, wie wir heute leben.“

Übrigens: Im Oktober 2000 nahm der Sicherheitsrat der UN die Resolution 1325 einstimmig an: Zum ersten Mal bestätigte er, „dass Frieden nur geschaffen und erhalten werden kann, wenn Frauen in allen Belangen partizipieren“. Und Mexiko, Luxemburg, Schweden, Libyen, Frankreich, Kanada und Spanien sowie Deutschland im jüngsten Koalitionsvertrag haben Ansätze einer feministischen Außenpolitik bereits formuliert.

Das alles sind kleine wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Utopie.

„Wenn eine Gesellschaft derart ungerechte Tatsachen produziert wie unsere, sollten wir maximal utopische Forderungen stellen – also laut nach einer gerechten Welt rufen. Wenn wir maximal utopisch fordern, dann erreichen wir …. vielleicht ein Ergebnis, auf das wir aufbauen können.“

Kristina Lunz

Fazit

Das Buch von Kristina Lunz liest sich locker und bietet viele Denkanstöße. Es ist zudem eine reiche Fundgrube an Quellen, Anekdoten, Beispielen und Infos. Und es macht deutlich: Eine feministische Außen- und Sicherheitspolitik handelt auch von globaler Klimapolitik, Bildungspolitik, Sozialpolitik, Gesundheitspolitik und von Menschenrechten. Es geht um Teilhabe. Einzelne Kapitel werden durch interessante Kurzportraits abgeschlossen, in denen internationale Aktivistinnen, Wissenschaftlerinnen, Professorinnen, Politikerinnen erklären, warum sie sich für feministische Außenpolitik einsetzen. Manche Wiederholung könnte man streichen, es fehlt zudem ein Personen- und Organisationenregister. Aber was nicht ist, kann ja noch werden.

Viel Info, viel Utopie, viel Think Big – das Buch animiert zum mutigen Träumen.

Autorin: Antigone Kiefner

GIF-Redaktion von Bündnis 90 / Die Grünen Freiburg

Kristina Lunz, Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch. Wie globale Krisen gelöst werden müssen. Econ Verlag, 448 Seiten, 22,99 €

Das Buch ist erhältlich in der Buchhandlung Jos Fritz und kann auch online bestellt werden.

https://www.kristinalunz.com

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld

Mit der Nutzung dieses Formulars erklären Sie sich mit der Speicherung und Verarbeitung Ihrer Daten durch diese Website einverstanden. Weiteres entnehmen Sie bitte der Datenschutzerklärung.

Verwandte Artikel