„In der Demokratie muss es um eine Art lebenslanges Lernen gehen“

GIF Sonderreihe zur Erinnerungskultur in Deutschland.


Interview mit Julia Wolrab, seit Oktober 2020 wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationszentrums Nationalsozialismus Freiburg (NS-Dokuzentrum). Der Geschichts- und Erinnerungsort im ehemaligen Verkehrsamt am Rotteckring wird aufgrund umfassender Bauarbeiten voraussichtlich Ende 2024 eröffnet.

GIF: Warum ist die Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit für die Demokratiebildung so entscheidend? Welches ist dazu die Sicht des Freiburger NS-Dokuzentrums, das Sie seit rund zweieinhalb Jahren leiten?

Julia Wolrab: Wir leben heute in demokratischen Strukturen und in einer Gesellschaft, deren oberster Grundsatz die Wahrung der Menschenwürde und der Menschenrechte ist – so zumindest ist es im Grundgesetz verankert. Wir vergessen jedoch allzu leicht, dass diese Demokratie nicht selbstverständlich ist. Sie ist keine Selbstläuferin und nicht unveränderbar. Wir leben – trotz der vielen weltweiten Krisen – in relativ komfortablen Zeiten. Die nach 1945 Geborenen mussten in der Regel zumindest keine unmittelbaren Kriegserfahrungen machen. Die Gefahr von Kriegshandlungen und die Möglichkeit der Gefährdung demokratischer Strukturen waren deshalb nicht mehr so präsent. Der Krieg in der Ukraine hat dies, noch in größerem Ausmaß als die Kriege im Kosovo oder in Syrien, mit Sicherheit verändert.

Gleichzeitig zeigen menschenfeindliche, rassistische und antisemitische Übergriffe in unserer Gesellschaft – Stichwort Hanau, Angriff auf die Synagoge von Halle, NSU-Morde – dass unsere Demokratie nach wie vor stark gefährdet ist. Der Blick in unsere Vergangenheit und auch die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte zeigen, wie schnell Menschen zu unbeschreiblichen Verbrechen fähig sind, wenn politische und gesellschaftliche Strukturen nicht greifen, um solche ideologischen Exzesse einzudämmen. Nicht nur, aber auch deshalb sollten wir uns auch heute mit unserer eigenen Geschichte, insbesondere mit der NS-Vergangenheit, auseinandersetzen.

GIF: Kann also die Beschäftigung mit den Verbrechen des Nationalsozialismus unsere Gesellschaft gegen Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung imprägnieren?

Julia Wolrab, wissenschaftliche Leiterin des NS-Dokuzentrums; Foto: privat

Julia Wolrab: Auch wenn es wichtig ist, sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus zu beschäftigen, heißt das nicht, dass man damit automatisch gegen Rassismus, Menschenfeindlichkeit oder andere Formen der Abwertung imprägniert ist. Die Vorstellung, dass wenn zum Beispiel Schulklassen in eine Gedenkstätte hineingehen, sie danach gegen Rassismus und Antisemitismus gefeit und gewappnet sind, ist zu kurz gedacht. Das kann nur ein Baustein sein. Vielmehr muss es in der Demokratie um eine Art von lebenslangem Lernen gehen, wo jeder und jede für sich erkennen muss, was es letztendlich heißt und wie es gelingen kann, sich für die Demokratie und ein Miteinander auf einer friedlichen Basis einzusetzen. Da ist der Besuch von Gedenkstätten und Erinnerungsorten nur ein – wenn auch wichtiger – Baustein von mehreren. Dabei müssen die Erwartungen an die Besuche dieser Lernorte realistisch bleiben. Was wir aber tun können: Mit unserer Erinnerungsarbeit Impulse setzen. Sie muss deshalb auch zielgruppenspezifisch sein. Das bedeutet auch, die Erwartungen und „Bilder im Kopf“ der Besucherinnen und Besucher ernst zu nehmen und mit unserer Arbeit auf sie zu reagieren – auch wenn dabei manche Erwartungen gebrochen werden. Das ist Teil der Lernerfahrung.

GIF: Damit sind wir beim Thema der Zielgruppen. Das NS-Dokuzentrum soll ja insbesondere Jugendliche ansprechen, die aber ganz unterschiedliche Prägungen und Hintergründe mitbringen. Hat das NS-Dokuzentrum deshalb zielgruppenspezifische Vermittlungskonzepte entwickelt, z.B. für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Migrationsgeschichte?

Julia Wolrab: Jede Gruppe ist heterogen, und das bezüglich vieler, auch intersektional wirkender Zuschreibungen und Erfahrungen. Wir möchten also nicht davon ausgehen, dass es zum Beispiel für „die Gruppe“ der Menschen mit „Migrationshintergrund“ ein ganz bestimmtes Programm geben sollte. Das können wir auch gar nicht leisten, es gibt schließlich sehr viele enorm wirksame und bedeutsame soziale Kategorien: Geschlecht, Alter, Bildungshintergrund, Migrationserfahrung, finanzielle Möglichkeiten, Behinderung, Religion etc. Vielmehr möchten wir schon im Vorfeld mit der jeweiligen Gruppe und in enger Abstimmung mit den betreuenden Lehrkräften herausfinden: Was für Fragen haben die Jugendlichen eigentlich? Was sind die spezifischen Fragen oder Erfahrungen innerhalb der Gruppe? Und dann auch in der Arbeit mit der Gruppe fragen: Was bewegt Euch? Wie möchtet ihr euch selbst in den Besuch des Dokumentationszentrums einbringen? Auf dieser Grundlage können wir die Angebote dann relativ zielgruppengenau auf die Bedürfnisse der Gruppe zuschneiden und die Jugendlichen erleben direkt, dass sie anerkannt sind und mitbestimmen dürfen.

Darüber hinaus werden wir aber auch spezifische Angebote schaffen, die für bestimmte Gruppen interessant sind. Das können Programme zu bestimmten Themenschwerpunkten sein, wie etwa zum Thema Flucht, fremdsprachige oder inklusive Programme, in Leichter Sprache oder Gebärdensprache. Das haben wir z.B. letztes Jahr (2022) im Rahmen der kleinen Ausstellung „Stolen Memory“ auf dem Platz der Alten Synagoge mit einer russisch-ukrainischsprachigen Gruppe umgesetzt.

GIF: Ist es nicht sehr zeitaufwändig, solche passgenauen Führungen zu entwickeln?

Julia Wolrab: Ja, das ist in der Tat sehr zeitaufwändig. Doch es gibt in Freiburg bereits viel Expertise und Know-how, die wir nutzen wollen und werden. Wir sind deshalb gerade dabei, ein breites Netzwerk aufzubauen, bestehend aus Schulen und Institutionen, die in der historisch-politischen Bildungsarbeit tätig sind, z.B. die Landeszentrale für politische Bildung, oder „ofek“, die Beratungsstelle gegen Antisemitismus hier in Freiburg. Mit diesen Partnern zusammen können wir dann zielgruppenspezifische Ansprachen entwickeln. Es geht aber nicht primär um das Formulieren von Angeboten für spezifische Gruppen, sondern insbesondere um die Einbeziehung in die Konzeption und Durchführung der Programme. Beispielsweise müssen bei der Konzeption zu Workshops über jüdisches Leben selbstverständlich jüdische Menschen mitsprechen und sichtbar werden können. Und: Es braucht hier auch gute Schulungen für die Mitarbeiter:innen zur Sensibilisierung und Reflexion, sowie zur Ausbildung von Handlungssicherheit, wenn es im Kontext von Angeboten zu menschenfeindlichen Äußerungen kommt.

GIF: Gibt es Themen, welche die Jugendlichen aktuell beschäftigen, bei denen man einen Bezug zum Nationalsozialismus herstellen kann?

Julia Wolrab: Ja, die gibt es. Ein wichtiges Thema etwa ist, gerade im Hinblick auf den Ukraine-Krieg, die Frage der Propaganda. Hier kann man am Beispiel der NS-Propaganda das Thema der „Fake News“ aufgreifen, das schon seit vielen Jahren im pädagogischen Kontext diskutiert wird. Das ist ja eine Frage, die uns alle und vor allem Jugendliche beschäftigt: Wo kann ich etwas, das ich auf Instagram lese, verifizieren? Muss ich es immer sofort weiter teilen? Kann ich nicht noch einmal eine Schleife einlegen, um das mit anderen Quellen abzugleichen? Das macht man ja auch im Geschichtsunterricht an der Schule, wo man das Einmaleins der Quellenkritik lernt: Was ist das für eine Quelle? Wer hat die geschrieben? In welchem Kontext ist sie entstanden? Was sagen andere Quellen über das gleiche Ereignis? Das kann man auch auf die sozialen Medien übertragen. Das sind gewissermaßen auch Fragen, die uns dann mit Blick auf die Vergangenheit beschäftigen: Warum wurden Parolen mitgebrüllt? Wurde da vorher überlegt? Solche Anregungen können wir am NS-Dokuzentrum geben.

Viele Jugendliche befassen sich auch mit Fragen der Identität, vielleicht besonders derzeit, wo eine große Sensibilität für Minderheitenerleben besteht: Wer bestimmt, wer ich bin und wie ich sein kann? Sind meine Erfahrungen spezifisch und besonders? Und möchte ich damit in einer Gruppe sichtbar werden, oder geht es ums Dazugehören? Das sind ja fast universelle Fragen. Die Aufgabe ist es jedoch auch immer, diese Fragen mit der Vergangenheit und der Geschichte über die Vergangenheit zu verbinden.

GIF: Wie ist denn das Interesse der Jugendlichen an der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus einzustufen?

Julia Wolrab: Das Interesse ist hoch, sogar so hoch wie schon seit vielen Jahren nicht mehr. Das hat die aktuelle „MEMO-Studie“ gezeigt, die jedes Jahr von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ veröffentlicht wird. Sie hat 1.000 Personen, vorwiegend Jugendliche, zu ihren Eindrücken der Erinnerungslandschaft und der Erinnerungskultur in Deutschland befragt. Dabei wurden neben dem Nationalsozialismus auch andere Themen der Erinnerung abgefragt, wie etwa kolonialgeschichtliche Themen oder die SED-Diktatur in der DDR. Die Studie hat aber auch gezeigt, dass das fachliche Wissen über den Nationalsozialismus in den letzten Jahren gesunken ist.

Das ist natürlich eine Steilvorlage für unsere Arbeit: Die Thematik ist zwar ein Schwerpunkt der Geschichtsvermittlung in der Schule, aber es fehlt der persönliche Zugang dazu. Deshalb möchten wir die Jugendlichen dazu einladen, mit und an der eigenen Familiengeschichte zu arbeiten. Die KZ-Gedenkstätte Neuengamme hat schon vor einigen Jahren dazu explizite Workshops konzipiert, wo es darum ging, in die eigenen Schubladen und auf den Dachböden nach historischen Quellen (Briefe, Tagebücher, Fotos etc.) zu schauen: Was mache ich mit diesen Überlieferungen? Was wissen meine Eltern noch darüber oder andere Verwandte? Haben meine Nachbar:innen oder die Menschen in meinem Viertel, in meinem Dorf die Verbrechen aufgearbeitet? Das wäre eine Frage, die auch Menschen bewegt, deren Familien nicht so unmittelbar involviert waren. Wie kann ich diese Informationen für mich erschließen, d.h. in den Zusammenhang setzen? Um noch einmal auf die Frage nach den aktuellen Bezügen zurückzukommen: Das sehe ich als eine wichtige Möglichkeit, die Frage „Was hat der NS mit mir zu tun?“ ganz konkret beantworten zu können.

Skizze des Eingangsbereichs („Cluster 0“) des NS-Dokuzentrums von oben; Autor: gewerk design

GIF: Ist das nicht generell das besondere Potenzial einer Erinnerungskultur auf lokaler Ebene?

Julia Wolrab: Absolut. Für mich hat der Leitsatz der Geschichtswerkstätten der 1980er Jahre „Grabe, wo Du stehst“ nichts an Relevanz verloren. Genau darum geht es letztlich auch, wenn wir die Frage stellen, die ja auch gerade in der Arbeit mit Jugendlichen bemüht wird: Was hat die Geschichte eigentlich mit mir zu tun? Dann kann man die persönlichen und lokalen Bezüge herstellen und aufzeigen: Wie hat sich NS-Geschichte im Kleinen, im Privaten und hier vor Ort abgespielt? Wie war sie mit Orten wie dem KZ Dachau verbunden, wo ja auch viele Freiburger:innen inhaftiert waren? Was waren die lokalen Umstände und Besonderheiten? Das ist das große Potenzial, das lokal und regional arbeitende Gedenkstätten und Erinnerungsorte haben. Diese große Chance haben wir bislang in Freiburg – von einigen wichtigen Ausnahmen wie der „Stolperstein-Initiative“ oder der Ausstellung „Nationalsozialismus in Freiburg“ 2016/2017 im Augustinermuseum abgesehen – meiner Meinung nach noch nicht ausreichend genutzt.

GIF: Will das NS-Dokuzentrum dabei auch digitale Formate einsetzen?

Julia Wolrab: Ja, wir arbeiten momentan an einem „Serious Game“ zu jüdischer Geschichte und Gegenwart in Freiburg. Dieses wird semidigital im Stadtraum von Freiburg verortet sein. An bestimmten Stellen in der Stadt kann man sich über „augmented reality“ – also erweiterte Realität – verschiedene Themen erschließen. Das bedeutet: Man bewegt sich mit Smartphone oder Tablet durch die Stadt und kann dann an bestimmten Stellen, z.B. am Platz der Alten Synagoge, das Tablet an das Denkmal halten und sieht dann die Synagoge im 3-D-Format in ihren eigentlichen Ausmaßen vor sich. Mit den einzelnen Stationen sind bestimmte Aufgaben verbunden, die die Nutzer:innen lösen müssen. Dieses Format wollen wir ausprobieren.

Interaktive, digitale Formate sind allerdings kein Selbstläufer. Nur weil man jetzt vieles digital macht, heißt das nicht, dass digitale Geschichtsvermittlung automatisch gut angenommen wird. Will sagen: Ja, wir müssen uns in der Vermittlung stärker digital aufstellen, aber vor allem damit arbeiten, was wir zur Verfügung haben, und dann vielleicht eher innovative thematische Ansätze verfolgen. Also zum Beispiel, wie ich vorhin schon sagte, bei den Jugendlichen oder jungen Erwachsenen fragen: Was bewegt euch denn eigentlich? Viele Jugendliche bewegt zum Beispiel der Klimaschutz oder die Diskriminierung von Jüdinnen und Juden oder People of Colour. Daraus ergibt sich dann die Frage: Wie kann ich mich heute gegen Antisemitismus und Rassismus einsetzen und meinen Teil dazu beitragen? Darauf wollen wir beim NS-Dokuzentrum ebenfalls eingehen.

GIF: Gibt es denn ein Spannungsfeld zwischen der Singularität des „Holocaust“ und einer universalistischen Erinnerungskultur, die auch andere Gewalt- und Menschheitsverbrechen als Teil einer Erziehung zu demokratischen Werten einbezieht? Wo gibt es möglicherweise Anknüpfungspunkte?

Julia Wolrab: Das Spannungsfeld als solches gibt es auf jeden Fall, das ist auch keine Meinung, sondern steckt ja schon in der Frage. Die damit verbundene Frage, welche Haltung man, oder konkreter das Dokuzentrum darin einnimmt, ist eine andere. Die Singularität des Holocaust anzuerkennen schließt es meiner Auffassung nach nicht aus, die Beziehung z.B. zu anderen Genoziden zu befragen. Das ist eine komplexe gesellschaftliche Debatte, die wir begleiten möchten.

Noch bis zum 11. Juni 2023 ist die Ausstellung „Freiburg und Kolonialismus. Gestern? Heute!“ im Augustinermuseum zu sehen, die sich mit den regionalen Äußerungen von Kolonialismus befasst. Wie die MEMO-Studie ebenfalls aufgezeigt hat, ist die Beschäftigung mit der kolonialen Vergangenheit Deutschlands bislang noch zu wenig auf dem Radar von Jugendlichen oder anderen Zielgruppen. Das hat sich in den letzten Jahren glücklicherweise etwas verändert und findet z.B. immer mehr Eingang in die Schulbücher. Ebenso hat die KZ-Gedenkstätte Neuengamme Bildungsmaterialien entwickelt, die zum Ziel haben, rassistische Denkstrukturen in der Zeit des NS mit den rassistischen Denkstrukturen in der Kolonialgeschichte des Deutschen Reiches in Verbindung zu setzen und die Kontinuitäten aufzuzeigen, aber auch die Unterschiede zu benennen. Das rassistische Denken einer „weißen Herrenrasse“ war im Nationalsozialismus auch Teil der Staatsideologie und griff zumindest in Teilen auf das Menschenbild zurück, das sich in der wilhelminischen Zeit und in der Zeit der Kolonialgeschichte festgesetzt hatte.

GIF: Will das NS-Dokuzentrum auch eine Verbindung herstellen zwischen damaligen und heutigen Diskriminierungen, etwa gegenüber Juden, Musliminnen oder People of Colour? Und möchte es auch auf die ähnlichen persönlichen Motive eingehen, warum Menschen andere Menschen ausschließen und herabsetzen?

Julia Wolrab: Auch hier: Die Verbindung stellen nicht wir her, sie ist Teil des gesellschaftlichen Diskurses. Diese Verbindung besteht und natürlich ist es wichtig, darauf einzugehen. Insbesondere bei den Formen der Diskriminierung, die auf z.B. juristischen und strukturellen Kontinuitäten fußen, ist das dringend geboten, aber auch bei tradierten Stereotypen. Aber, das ist mir ganz wichtig: ohne gleichzusetzen! Das Dokuzentrum wird nicht leisten können, gewissermaßen therapeutisch auf die Menschen einzuwirken und sie für die Motive – wie etwa eine persönliche Verunsicherung – zu sensibilisieren, weshalb sie andere diskriminieren. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass wir durch historische Bildung, die immer auch die Gegenwart, in der sie stattfindet, reflektieren muss, den Blick für gegenwärtigen Antisemitismus, Rassismus oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit schärfen. Wir alle gehen ja mit Vorannahmen und Beurteilungen durch die Welt und haben unsere Bilder vom Anderen im Kopf. Das gilt es immer wieder neu zu hinterfragen und aufzubrechen.

GIF: Wäre es in diesen Zusammenhang nicht auch eine spannende und wichtige Frage, wie man mit den Diskursverschiebungen umgeht, die es in den letzten Jahren z.B. von Seiten der AfD gab? Sie hat ja Themen salonfähig gemacht, die lange tabu waren. Wie erkennt man solche Diskursverschiebungen und geht dagegen vor?

Julia Wolrab: Das kann ich absolut unterstreichen! Letztlich ist das ja die große Überschrift, unter der die Diskussion um das NS-Dokuzentrum gelaufen ist. Wir müssen auch ganz praktisch schauen, welche sprachlichen Narrative und Begriffe, die jahrzehntelang nicht mehr im Sprachgebrauch gewesen sind, von manchen Parteien und Gruppierungen jenseits des demokratischen Spektrums verwendet werden, um Menschen für ihre Ideologie zu gewinnen. Auch da gilt zwar, dass das NS-Dokuzentrum gewissermaßen keine therapeutische Langzeitbetreuung von Anhänger:innen solcher Strömungen anbieten kann und möchte, um diese politisch wieder einzufangen. Dennoch muss es Teil unserer Arbeit sein, transparent zu machen, auf welches Vokabular und welche Begriffe rechtsextreme Gruppen bewusst zurückgreifen, um bestimmte politische Ziele zu verfolgen. Auch in diesem Bereich können wir Angebote unterbreiten, um die Menschen hierfür zu sensibilisieren.

GIF: Liebe Frau Wolrab, wir danken für das spannende Gespräch und wünschen Ihnen und dem NS-Dokuzentrum, dessen Entstehung seinerzeit auch maßgeblich von der Grünen Stadtratsfraktion unterstützt wurde, viel Erfolg!

Die Fragen stellten Antigone Kiefner und Robert Neisen.

Titelbild: Skizze des neuen NS-Dokuzentrums von außen. Autor: gewerk design

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