Der Verein Bike Bridge engagiert sich für eine „eine offenere und tolerantere Gesellschaft“. Unter anderem, in dem er geflüchteten Frauen Mobilität und besseren Anschluss in der Gesellschaft ermöglicht. Gregor, Skalierungskoordinator bei Bike Bridge, erzählt diese außergewöhnliche und erfolgreiche Idee.
Aus welchem Impuls heraus wurde Bike Bridge gegründet?
Hinter Bike Bridge steht ein Verein, der mit dem Ziel gegründet wurde, Frauen aus dem lokalen Kontext, bspw. Freiburg, und Frauen mit Migrations- bzw. Fluchtgeschichten zusammenzuführen. Der Verein selbst hat seinen Ursprung bei einer seiner Gründerinnen, welche 2015 in Sportwissenschaften promovierte und damals in einer Flüchtlingsunterkunft aktiv war. Dabei stellte sie fest, dass sich die Frauen kaum im Innenhof aufhielten und dass sich die fördernden Angebote, Programme und Projekte kaum an sie richteten. Bei einem ersten Pilotprojekt bemerkte sie schnell, dass das Fahrrad ein gutes Instrument ist, um Frauen mit ganz unterschiedlichen Geschichten zusammen zu bringen. Dies führte zur Gründung von Bike Bridge e.V. im Dezember 2017.
Was sind die Aufgaben des Teams von Bike Bridge?
Wir vom Team koordinieren die Kurse, stellen Kontakte zu anderen Projekten und Kooperationspartner*innen her, suchen Locations und bringen ehrenamtliche Trainerinnen und Teilnehmerinnen aus Flüchtlingsunterkünften zusammen. Die Trainerinnen unterstützen uns beim Leiten und der Konzeption der Kurse. Das Organisationsteam fokussiert sich auf die Planung und führt außerdem Fundraising und Evaluierungen durch. Der Verein wird seit Anbeginn wissenschaftlich evaluiert und reflektiert. So wurde etwa zum Projekt Bike Bridge eine Doktorarbeit von einer der Gründerinnen verfasst.
Welche Kurse bietet Bike Bridge an?
Wir haben ein „Bike & Belong-Kurskonzept“ entwickelt, das aus mehreren Teilen besteht:
Die Trainerinnen werden mit dem Programm „train-the-trainer“ auf die Kurse vorbereitet. Ein Bike & Belong-Kurs zielt auf eine möglichst gleiche Anzahl von Trainerinnen und Teilnehmerinnen ab, die in wechselnden Konstellationen das Fahrradfahren erlernen.
Neben den eigentlichen Fahrradkursen kann man in Theorieeinheiten die verschiedenen Verkehrsschilder üben und in der Reparaturwerkstatt das Hauptwerkzeug kennenlernen.
Darüber hinaus gibt es Events mit Kooperationspartnern an den verschiedenen Standorten. Das können beispielsweise Kochevents, Yoga-Einheiten oder Vorträge und Workshops über Gesundheitspräventionen sein.
Welche Motivation verfolgt Bike Bridge?
Da wir das Projekt wissenschaftlich begleiten, haben wir ein Konzept über die Wirkung Bike Bridges entwickelt. Dabei verfolgen wir zum einen unser Ziel, die Frauen zu empowern, auf verschiedenen Ebenen. Wir stärken ihre räumliche und soziale Mobilität und möchten sie in psychischer und physischer Form stärken. Das bedeutet, dass das direkte Umfeld der Kursteilnehmerinnen – z.B. ihre Familien – positiv beeinflusst wird. Wir haben deshalb bei uns auch eine Kinderbetreuung eingerichtet, damit die Frauen Zeit haben, an unseren Kursen teilzunehmen.
Zum anderen ist unser Ziel den sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken, indem wir die Kursteilnehmerinnen mit den lokalen Frauen, bzw. der lokalen Bevölkerung, zusammenbringen. Damit wollen wir für eine offenere und tolerantere Gesellschaft einstehen. Das könnte man sozusagen als unsere „Top-Vision“ betrachten.
Wer sind die Menschen hinter dem Verein?
Wir sind ein bunter Haufen: Von uns Mitarbeiter*innen gibt es unter anderem Sport- und Umweltwissenschaftler*innen und ich selbst bin Geograf. Aber was uns alle eint, ist das Engagement an einem sozialen Projekt in einem sozialen Verein. Die Arbeit ist abwechslungsreich und schafft nicht nur für uns selbst viel Perspektive, sondern auch für viele andere Menschen. Und natürlich verbindet uns die Vision für eine tolerantere Welt einzustehen und einen Job zu haben, der uns erfüllt.
Führte dich diese Vision genauso zu Bike Bridge?
Auf Bike Bridge bin ich aufmerksam geworden, weil eine Kommilitonin ihre Masterarbeit zusammen mit dem Verein geschrieben hatte. Zudem war ich auf Jobsuche und hatte das Studium beendet. Aus meiner Motivation heraus war es wünschenswert viele sinnvolle Veränderungen umsetzen zu können, anstatt einen einfachen Bürojob zu haben. Ich bin ein engagierter Mensch und dazu fahrradbegeistert. Das ist eine wunderbare Schnittstelle, um alles verknüpfen zu können – und so bin ich im Endeffekt bei Bike Bridge gelandet.
Wie konntet ihr aufgrund der diesjährigen Situation starten?
Zu Beginn des Jahres ist die Planung normal angelaufen. Dann kam die Covid-19 Pandemie dazwischen. Einer Person das Fahrradfahren beizubringen, bedeutet natürlich Körperkontakt zu haben – sei es einfach nur für die Stabilisierung und für das Anschieben des Fahrrads. Demnach mussten wir den Beginn der Saison nach hinten verschieben. Wir sind froh, dass wir seit Juli 2020 die ersten Kurse wiederaufnehmen können. Wenn auch alles in einem etwas kleineren Format.
Darüber hinaus haben wir dieses Jahr zwei weitere Standorte, Frankfurt und Hamburg, mit in unsere Familie aufgenommen. Seit August gibt es in beiden Städten Fahrradkurse mit einer verringerten Anzahl an Teilnehmerinnen und Trainerinnen. Außerdem finden dieses Jahr mehrere Kooperations-Pilotprojekte statt, u.a. in Köln und München.
Habt ihr neben dem Ausbau weiterer Standorte noch andere Konzepte, um eure Vision möglichst weit zu verbreiten?
Wir veranstalten auch kostenlose Multiplikator*innen-Schulungen. Jede Person kann teilnehmen und aus unseren Erfahrungen lernen. Mit der Schulung geben wir unser Wissen und unser Konzept weiter, auch als online-Schulung. Damit erhoffen wir uns, unabhängig von unserem Verein, unser Wissen möglichst weit zu verbreiten und somit eine deutlich größere Wirkung zu erzielen. Letztes Jahr bspw. gab es einen Kurs in St. Peter und einen Pilotkurs in Paris. Auf diese Art und Weise hoffen wir, möglichst viele Frauen zu erreichen und Kurse anbieten können.
Es läuft aber auch etwas Neues an?
Ja, genau. Wir haben dieses Jahr mittlerweile ein weiteres Baby: Die Kooperation mit „Radeln ohne Alter“. Dahinter steht ein Verein aus Dänemark, der Senior*innen mit jüngeren Menschen zusammen bringen möchte. Auf Rikscha-Ausfahrten können diese in sozialen Kontakt treten und gleichzeitig an die frische Luft kommen. Derzeit haben wir zwei neue Rikschas bei uns. Gerne kann man sich als interessierte Person bei uns melden und mit Senioren kleine Ausfahrten machen.
Wir bedanken uns herzlich bei Gregor dafür, dass er sich die Zeit für uns und unsere Fragen genommen hat und wünschen ihm und Bike Bridge auch weiterhin viel Erfolg!
Das Interview geführt hat: Jessica Nicolosi
Sie engagiert sich für soziales und nachhaltiges Zusammenleben und Wirtschaften. Außerdem gestaltet sie seit diesem Jahr die Arbeitskreise Lokale Wirtschaft und Migration mit. Beruflich arbeitet sie bei JobRad.
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