Frauenquote: Endlich die Hälfte der Welt einfordern

Die Vorteile gemischtgeschlechtlicher Teams in allen Hierarchieebenen für die Gesellschaft und die Unternehmen liegen auf der Hand. Die Umsetzung den Unternehmen auf freiwilliger Basis zu überlassen, hat jedoch in den letzten Jahrzehnten leider nicht funktioniert. Daher ist die Einführung einer Frauenquote wichtig und richtig und ich bin froh, dass selbst die konservative Union dies nun erkannt zu haben scheint oder zumindest mitträgt.

Frauen im Beruf

Frauen sind heutzutage hoch qualifiziert, gebildet, kompetent, smart, engagiert und couragiert und bringen häufig sogar mehr „soft skills“ wie kommunikative oder integrative Fähigkeiten mit als ihre männlichen Kollegen. Frauen sind leistungsbereit und bringen meist auch ein hohes Maß an Flexibilität mit. Warum also bestehen weiterhin Bedenken, keine geeignete Frau für den Job finden zu können? Oder dass Frauen sowas nicht können? Oder dass Frauen sowas nicht wollen?

Geschlechterrollen, Schubladendenken und Vorurteile

Vermutlich hängt dies immer noch mit den unterschiedlichen Rollenverständnissen von Männern und Frauen zusammen, die noch tief in unseren Köpfen verankert sind. So konnte man sich im 19. Jahrhundert in Deutschland kaum vorstellen, dass Frauen für ein Hochschulstudium geeignet sein könnten. Die Bedenken waren, dass es die Natur der Frau sei, Hausfrau und Mutter zu sein. Frauen wurde erst 1900 der volle Zugang zum Hochschulstudium ermöglicht. Heute sind knapp die Hälfte der Studierenden in Deutschland Frauen.

1919 gab es erstmals Frauen in einem deutschen Parlament. Es hat 86 Jahre gedauert, bis in Deutschland erstmals eine Frau Bundeskanzlerin wurde. Angela Merkel ist für die jüngere Generation ein wichtiges Vorbild. Sie hat bewiesen: In der Politik sind auch die höchsten Ämter für Frauen erreichbar. Die Grünen – eigentlich die Vorreiterpartei, die sich Gleichberechtigung beider Geschlechter auf die Fahne geschrieben hat – stellen nun erstmals 2021 eine Frau als Spitzenkandidatin auf. Und prompt kommen bei Vielen Zweifel auf, ob „so eine junge Frau“ dieser großen Aufgabe überhaupt gewachsen sein könne, dazu ohne Erfahrung in dem Bereich. Ob so eine Position überhaupt mit den Verpflichtungen als Mutter kleiner Kinder vereinbar sei. Da haben wir sie wieder. Die Schranken in unsrem Kopf, die Vorurteile, Schubladen, Rollenzuschreibungen.

Die meisten berufstätigen Frauen werden irgendwann im Laufe ihrer Karriere in der Schublade „Frau im gebärfähigen Alter“, „verheiratete Frau, wahrscheinlich mit Kinderwunsch“ oder „Mutter“ landen. Und spätestens dann wird spürbar, dass wir in Deutschland eben doch noch nicht so weit mit der Gleichberechtigung sind, wie wir denken.

Kinder und Care-Arbeit: Die gelebte Klassik in der Familie

Der Karriereknick kommt oft mit dem ersten Kind, da in Deutschland die Aufteilung der Care-Arbeit leider immer noch sehr ungleich verteilt ist und durch den steuerlichen Anreiz des „Ehegattensplittings“ sogar verstärkt wird. Die Frau bleibt zuhause, kümmert sich um die Kinder, kehrt erst mit Verzögerung in den Beruf zurück und wird in der Zwischenzeit häufig von Männern in ihrem Bereich schon überholt. Und auch nach Rückkehr in den Job gibt es oftmals Bedenken, eine Mutter jüngerer Kinder gleichwertig wie männliche Kollegen oder kinderlose Kolleginnen einzusetzen, z.B. wenn es um Dienstreisen geht. Mütter sind unflexibler, müssen sich frei nehmen, wenn die Kinder krank sind oder die Betreuung nicht gesichert ist, können die Familie für Dienstreisen nicht allein lassen usw. Dass es noch einen Vater neben der Mutter gibt, der genauso im Notfall einspringen und für die Familie zurückstecken kann, erscheint oft unwahrscheinlich.

Und leider wird in vielen Familien die Rollenverteilung auch ganz „klassisch“ gelebt, sobald Kinder geboren sind. Das drückt sich schon darin aus, dass einer Studie der Gesellschaft für deutsche Sprache zufolge bei den standesamtlichen Heiraten immer noch 75% der Paare den Namen des Mannes als Familiennamen wählten und nur 6% den Namen der Frau. Das zeigt, wie stark die traditionellen Rollenmuster immer noch in unser aller Köpfe verankert sind. Und das mehr als 40 Jahre lang nach Änderung des Namensrechts!

Männer und Frauen mit einem neuen Selbstbewusstsein

Die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist immer noch ungenügend staatlich gefördert und gefordert. Männer werden teilweise noch schief angeschaut, wenn sie mehr als die 2 „Vätermonate“ Elternzeit nehmen. Eine gerechtere Aufteilung der Care-Arbeit ist ein wichtiger Faktor hin zu einer Veränderung der Rollenzuschreibungen. Hier braucht es neben selbstbewussten und starken Frauen, die für sich selbstverständlich 50% der Welt einfordern, auch die starken und selbstbewussten Männer, die sich nicht darüber definieren müssen, „der Ernährer“ der Familie zu sein, sondern auch stolz die Rolle als „Vater“ und „Hausmann“ ausfüllen. Und es braucht den Staat, der eine gerechte Verteilung bestmöglich fördert.

Der Staat als Rahmengeber für Gleichberechtigung

Die Einführung des Mutterschutzes und der Elternzeit auch in Führungsetagen ist ein wichtiger Schritt, um diese Positionen für Eltern, die auch Verantwortung für ihre Kinder übernehmen wollen, zu ermöglichen. Es braucht die geeigneten Strukturen und Rahmenbedingungen, aber es braucht auch das nötige Selbstbewusstsein der Frauen, diese Führungsposten für sich selbst auch anzustreben und einzufordern. Und hier ist es leider immer noch so, dass viele Mädchen und Frauen unabhängig von ihren Begabungen und Leistungen weniger berufliches Selbstvertrauen haben, insbesondere wenn es nicht um die klassischen „Frauenberufe“ geht.

Frauen im Gesundheitswesen

Ich arbeite in einem großen Landesklinikum als Assistenzärztin. Knapp 70% der Medizinstudierenden in Deutschland sind aktuell Frauen. In meiner Klinik sind der Geschäftsführer, der ärztliche Direktor, der Pflegedirektor, der Leiter des Heimbereichs und die Chefärzte aller Abteilungen Männer. In meiner Abteilung sind auch alle Oberärzte Männer. Im Gesundheitswesen ist es leider immer noch so, dass in der Führungsebene Frauen deutlich unterrepräsentiert sind. Das macht wenig Mut, selbst eine Führungsposition anzustreben. Auch wenn Kliniken keine DAX-Unternehmen sind, fände ich auch hier eine Frauenquote sinnvoll um junge Ärztinnen zu ermutigen, mehr Verantwortung zu übernehmen und Karriere zu machen.  

Frauen in der Politik

Ich bin den Grünen beigetreten, weil ich es toll finde, dass sich diese Partei für eine echte Parität beider Geschlechter einsetzt. Dennoch bin ich auch hier unsicher, ob ich „gut genug“ bin. Und politische Ämter erscheinen für mich unerreichbar. Es gibt zwar die großen Vorbilder Angela Merkel als Bundeskanzlerin und Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin der Grünen, aber auf den Zwischen-Ebenen sieht es dennoch mau aus: In Deutschland werden 2020 nur 9% der Städte und Gemeinden von einer Bürgermeisterin geführt. Frauen sind im Wahlkampf stärker mit Widerständen konfrontiert und erleben immer noch Vorbehalte aufgrund ihres Geschlechts. Und von unseren 16 Bundesländern werden aktuell zwei von Ministerpräsidentinnen geführt. Insgesamt gab es bisher nur sieben Ministerpräsidentinnen in der Geschichte der Bundesrepublik. Ihnen stehen 164 Männer im Amt des Ministerpräsidenten gegenüber. Die niedrige Frauenquote beim Führen einer Landesregierung liegt sicher nicht daran, dass Frauen diesen Job nicht machen wollen oder dafür nicht geeignet wären.

Mehr Parität für die besten Teams

Wir brauchen auf allen Ebenen mehr Parität, in der Politik, in der Wirtschaft und im gesellschaftlichen und privaten Leben. Das Neue ist immer erstmal ungewohnt, irritiert und erzeugt Widerstände. Das ist ein natürlicher Reflex, da die Abkehr vom Gewohnten auch neue Risiken und Gefahren mit sich bringt. Die Welt heutzutage wandelt sich so schnell, dass eher Stillstand und zu sehr Festhalten an „Traditionen“ die Gefahr birgt, abgehängt zu werden. Es geht um Fortschritt und Wandel. Und den bekommen wir nur mit den besten Teams hin, die wir haben. Und das sind nachweislich gemischte Teams. Wir sollten den hochqualifizierten und kompetenten Frauen, derer es genügend gibt, auch mal etwas zutrauen und im Großen als Gesellschaft und im Kleineren als Unternehmen Mut zur Veränderung beweisen. Wichtige Vorreiterinnen der Medizin und damit „neu“ und „unerprobt“ auf ihrem Gebiet waren die erste promovierte Ärztin Deutschlands Dorothea Christiane Erxleben oder die Freiburgerin Johanna Kappes, eine der ersten Studentinnen Deutschlands. Und das nicht, weil sie weniger fähig oder kompetent als ihre männlichen Mitstreiter gewesen wären, sondern nur aufgrund der Tatsache, dass man ihnen ihres Geschlechts wegen bis dahin nicht die Möglichkeit gegeben hatte, ihr volles Potenzial zu entfalten. Sie haben neue Impulse gebracht und unsere Gesellschaft zusammen mit ihren männlichen Kollegen dahin gebracht, wo wir heute stehen.

Also lasst uns mit Mut und Zuversicht als Männer und Frauen gemeinsam und in allen Lebensbereichen gleichberechtigt in die Zukunft gehen!

Autorin: Dr. med. Katharina Kulvelis

Sie ist Ärztin, verheiratet und Mutter zweier Kinder.

Die gebürtige Freiburgerin ist neu eingetreten bei Bündnis 90 / Die Grünen und bereits aktiv im AK Frauen & Geschlechterpolitik sowie im AK Gesundheit.

Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und Wohlbefinden auf allen Ebenen sind ihr sehr wichtig, ebenso die Förderung von Frauen und Familien. Weitere Stichworte, mit denen sie ihre politische Anliegen beschreibt: gesundheitliche Aufklärung und Selbstbestimmung, Allgemeinverfügbarkeit und Entprivatisierung der Grundversorgungsstrukturen, (z.B. Gesundheitswesen und Infrastruktur) sowie eine bessere Integration von Migrant*innen und Schutz und Stärkung unseres demokratischen Wertesystems. Im Alltag ist sie Fan von Selber machen, Reparieren, Upcycling und Recycling.

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